Achtsamkeit in der Coronavirus-Krise
Die mediale und gesundheitspolitische Auseinandersetzung mit dem Corona-Virus ist dieser Tage allgegenwärtig. Was passiert hier gerade mit uns? Zum angemessenen Umgang mit dem Virus kursieren indes zwei konträre Positionen. Was ist diesbezüglich vielleicht eher stimmig, eher vernünftig und eher achtsam? Es gilt für uns, ja für jeden Einzelnen von uns, Orientierung zu finden. Dazu möchte ich hier beitragen. Und natürlich darf dabei der achtsame Blick auf die Krise nicht fehlen: Was ist de facto ein wirkliches Thema, wenn wir näher hinschauen, achtsamer wahrnehmen?
Vor wenigen Tagen hatte ich einen Traum. Ein Kirchengebäude, ein Dom oder Münster brannte lichterloh. Das Bild erinnert an Notre-Dame, das ja tatsächlich niederbrannte. Für mich war es im Traum eher das Freiburger Münster. Das ist natürlich naheliegend, da ich in Freiburg wohne. Ein rotes aus dem Münster züngelndes Flammenmeer. Etwas, das im Zentrum einer Gemeinde oder Gemeinschaft steht, stand also heftig in Flammen. Ein Identifikationspunkt oder Sinnbild einer größeren Stadt von Flammen verzehrt. Ja, so ist es doch gerade. Die Welt, wie wir sie kennen, wie wir uns mit ihr identifizieren und so bedeutsam wie sie oft für unsere Wahrnehmung ist, ist in Brand geraten: Corona.
Eine Analyse brennender Fragen
Auch die Medienwelt brennt, eine gesundheits- und wirtschaftspolitische Nachrichtenflut schwappt mit immenser Wucht über uns. Freilich nicht ohne Wirkung. Das Thema ist dominant. Ich möchte den brennenden Fragen nicht ausweichen und deshalb zuallererst das beherrschende Thema eines angemessenen Umgangs mit der Virusbedrohung reflektieren.
Es kursieren zwei konträre Sichtweisen auf die Virusbekämpfung.
Einige propagieren, es sei das Beste, dem Virus seinen Lauf zu lassen und über eine entsprechend schnelle Durchseuchung eine Herdenimmunität zu erlangen. Dann sei man deutlich schneller geschützt, die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen wären geringer, das Virus verflüchtige sich und der Spuk habe ein absehbares Ende. Ist es nicht normal und natürlich, dass Epidemien grassieren? Die Natur ist so und es gehört zum Menschenleben und zur Menschheitsgeschichte dazu. Ein gewisser Fatalismus lässt sich bei dieser Sichtweise wohl nicht leugnen.
Die Anderen, und das ist derzeit der breite Mainstream, glauben, dass wir dringend alles tun müssen, Schutzmaßnahmen gegen die Weiterverbreitung des Erregers umsetzen müssen und den Impact des Virus auf unser Gesundheitswesen über einen längeren Zeitraum in Grenzen halten müssen.
Was ist ein sachgerechter und damit achtsamer Umgang mit der viralen Bedrohung?
Die Frage ist also: Was ist wirklich „vernünftig“ und vielleicht „achtsam“? Wenn wir achtsam auf diese Sichtweisen schauen möchten, geht es darum, was, möglichst objektiv betrachtet, realistisch ist. Solche Fragen achtsam zu beantworten, bedeutet höchstmögliche Sachlichkeit walten zu lassen.
Der „fatalistische“ Ansatz
Der „fatalistische“, auf Herdenimmunität abzielende Ansatz, hat auf den ersten Blick seinen Charme. Von einer höheren Warte aus betrachtet, scheint es gerade so, als würden wir bei einer solchen Strategie gleichsam mit dem Lauf der Natur mitfließen, Normalität und Natürlichkeit Raum geben. In nüchterner wirtschaftlicher Sicht verspricht der Ansatz einen deutlich geringeren Preis zu fordern. Auch wenn sich die Pandemie ähnlich einer allerschwersten Grippe entwickeln sollte, so hält sich doch alles scheinbar in einem normalen Rahmen und unser gewohntes gesellschaftliches Gefüge bleibt wohl irgendwie unter Kontrolle. Und vermeintlich lässt sich so alles schneller überstehen. Der schöne Schein trügt: Der wahre Preis dieser Idee, das sollte jedem klar sein, sind viele viele Tote und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Die Virusausbreitung einfach laufen zu lassen, bedeutet de facto, dass wir sehr bald zeitgleich viele lebensbedrohlich erkrankte Menschen auf den Intensivstationen haben werden. Oder auf den Fluren unserer Krankenhäuser, wie derzeit in der Lombardei und in Madrid! Auch die Kapazitäten unseres deutschen Gesundheitssystems reichen realistisch betrachtet beim besten Willen und bei bestmöglicher Aufstockung von Beatmungsplätzen nicht aus, um eine solche Patientenflut auch nur im entferntesten angemessen zu behandeln. Was am meisten dabei fehlt, sind Pflegekräfte. Sie fehlen seit langem schon im Normalbetrieb des Gesundheitswesens. Und Pflegekräfte können eben nicht im nötigen Maß aufgestockt werden, weil sich gerade ein bedrohliches Virus breit macht. Wer soll denn all die zusätzlichen Beatmungsgeräte bedienen? Logischerweise geschieht bei diesem Ansatz dasselbe wie in Norditalien und in der spanischen Hauptstadt. Ärzte müssen dann entscheiden, wer beatmet werden kann und vielleicht überlebt oder wer nicht beatmet werden kann und vermutlich schnell stirbt. Wie mir schon berichtet wurde, mag manch einer sogar denken „Irgendwann muss man eben sterben. Es sind ja quasi nur die Alten, die das Virus nicht ohne weiteres überleben.“ Mitnichten. Nun, so unmenschlich wird es hoffentlich kaum einer sehen und handhaben wollen, auch wenn durchaus einige derbe Aussagen zu hören sind dieser Tage. Bei diesem Ansatz wird manchmal zusätzlich propagiert, man könne ja gezielt die Risikogruppen isolieren, sie per Quarantäne schützen. Kann man das wirklich? Kannst DU persönlich wissen, dass nicht auch Du gefährdet bist? Es können auch junge, vermeintlich gesunde und sportliche Menschen, an dieser Virusinfektion sterben. Auch dazu gibt es Berichte. Und wer kann schon ausschließen, dass da nicht irgendeine Krankheit unentdeckt in ihm schlummert und sein Immunsystem schwächt? Wir können uns hier nicht sicher sein! Die Zahl derer, die in der vermeintlich ungefährdeten Gruppe schwer erkranken können, ist angesichts der Krankheitszahlen bei einer hohen Durchseuchung vermutlich schon für sich genommen schlicht zu groß, um das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu schützen. Und man sollte nie vergessen, dass es auch ohne Corona noch andere schwer Erkrankte gibt, die in Kliniken von einer begrenzten Anzahl an Personal behandelt werden müssen und die vielleicht aus anderen Gründen ebenfalls einen Beatmungsplatz benötigen. Die nächste Herausforderung in diesem nur scheinbar charmanten Ansatz ist, dass man schwerlich Ärzte und Pflegepersonal gemeinsam mit der Risikogruppe vollends isolieren kann. Die Fürsorge für die Isolierten müsste dann aus der teilweise sorglosen durchseuchten Bevölkerung heraus übernommen werden. Nein, das ist nicht wirklich praktikabel und menschlich vertretbar. Unser medizinisches und pflegerisches Personal würde in diesem Szenario, falls sie dann nicht auch mit isoliert würden, unvermeidlich in Kontakt mit der durchseuchten Bevölkerung kommen. Sie müssten sich beispielsweise durch die Masse der vermutlich Infizierten bewegen, zum Beispiel, um zur Arbeit zu gelangen oder auch nur einzukaufen. Auch sie würden sich über kurz oder lang vermehrt anstecken. Cave: Viele Menschen, die infiziert sind, zeigen keine oder kaum Symptome und sind dennoch ansteckend. So gelangt der Erreger schnurstracks zur Risikogruppe. In diesem Ansatz mag für die Wirtschaft etwas gewonnen sein, nicht aber für die Gesundheit der Menschen. Ob im Übrigen die benötigte Schutzkleidung beim Massenandrang der schwer Erkrankten auch nur im Ansatz ausreichen würde, ist dabei auch noch nicht in Betracht gezogen. Es gäbe in jedem Fall viel zu viele Erkrankte zur selben Zeit. So wäre der Kollaps des Gesundheitssystems besiegelt. Wie die Realität bei diesem Ansatz aussehen würde, kann man ganz konkret an den Auswirkungen großer Infiziertenzahlen auf die Gesundheitssysteme in Italien und Spanien sehen. Warum derzeit dann immer noch sogar einige Fachleute wie der Lungenfacharzt und ehemalige Leiter des Gesundheitsamts Flensburg, Dr. Wolfgang Wodarg, von Panikmache reden und die Virusbedrohung herunterspielen, ist gelinde gesagt absolut unverständlich. Die Realität hat Euch vermeintliche „Fachleute“ längst widerlegt! Mein Fazit: Dieser Ansatz hat viel zu viele Fallstricke, ist schlicht zu wenig durchdacht und fordert vermutlich sehr viele Tote. Und das können übrigens auch Patienten mit anderen Erkrankungen sein, die wegen der Masse an behandlungsbedürftigen Coronainfizierten nicht mehr angemessen behandelt werden könnten. Ergänzend sei angemerkt, dass es nicht einmal eine Gewähr dafür gibt, dass man nach einer Ansteckung mit dem Corona-Virus tatsächlich eine länger anhaltende Immunität erreicht. Es gibt derzeit viele Äußerungen von Virologen, die von einer Immunität für 1 bis 2 Jahre ausgehen. Stimmt das, dann werden wir in jedem Fall für nächstes Jahr einen Impfstoff brauchen, sonst droht die nächste Corona-Krisen-Runde.
Der Ansatz der Verbreitungsverzögerung
Die im Mainstream derzeit dominante Sichtweise auf den Umgang mit dem Virus, zielt darauf ab, die Verbreitung des Virus mit zunehmend härter werdenden Maßnahmen zu behindern. Diese Maßnahmen bringen einen enormen Einschnitt in das Wirtschaftsgefüge mit sich und führen in eine schwere Wirtschaftskrise. Die eingeleiteten Maßnahmen sind auch ein massiver und schmerzlicher Eingriff in unsere gewohnten Freiheitsrechte und in unser Freizeitverhalten. Die ach so coole Feierlaune vieler kann infolgedessen bei mangelnd ausgeprägter Einsicht schnell in Wut und Aggression umschlagen. Die Herausforderung, unter solchen Bedingungen Vernunft und Ruhe zu bewahren, ist für viele sehr schwer zu bewältigen. Es kann den einen oder anderen überfordern.
Doch allen Widrigkeiten zum Trotz ist die Strategie der Viruseindämmung mit harten Maßnahmen der vernünftigere Ansatz. Warum? Ein Blick nach Italien oder Spanien genügt, um das zu verstehen. Völlig überforderte Ärzte und Pflegekräfte, zu wenig Beatmungsmöglichkeiten, Ärzte, die gezwungen sind über Leben und Tod von Menschen zu entscheiden. Sehr viele tote Menschen. Wäre es Deutschland, es könnte vielleicht Dein Vater, Deine Oma, Dein Opa, Dein Bruder, Deine Schwester oder Dein Kind sein, die gleichsam zum Tod verurteilt werden. Kein vernünftiger und empathiefähiger Mensch kann solche Verhältnisse wollen!
Ein gutes Beispiel: Die „spanische Grippe“
In Sachen Virusbekämpfung gibt es bereits eine historische Erfahrungen, die mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht ist. Neulich las ich einen Bericht über die sogenannte „spanische Grippe“. An der „spanischen Grippe“ verstarben zwischen 1918 und 1920 sehr viele Menschen weltweit. Laut dem Artikel (vgl. ähnlicher Artikel bei Geo) wurde in einer Studie untersucht, wie der Verlauf dieser Grippe in den USA in den Städten Philadelphia und St. Louis war. In Philadelphia fand noch eine Parade mit 200.000 Schaulustigen statt, während man in St. Louis öffentliche Veranstaltungen absagte, öffentliche Einrichtungen schloß und Menschenansammlungen vermied. St. Louis hatte eine achtfach geringere Sterberate zu beklagen als Philadelphia. Es gelang in St. Louis die Krankheitsfälle auf eine längere Zeit zu strecken, so dass das Gesundheitswesen nicht völlig überlastet wurde. Diese Strategie zeigte also genau die Wirkung, die wir uns heute mit ähnlichen Maßnahmen erhoffen!
Unnatürlicher Kontrollwahn oder sachgerechtes Handeln?
Es mag widernatürlich erscheinen und wie der Kampf gegen Windmühlen, wenn wir mit harten Maßnahmen versuchen, „die Natur“ zu kontrollieren, des scheinbar Unkontrollierbaren Herr zu werden. Um zu unterstreichen, dass diese Strategie vernünftig und realistisch ist, möchte ich hier zwei Sinnbilder bemühen. Wenn wir in der Natur einem wilden Tier gegenüber stehen würden, das uns ohne Weiteres töten kann, beispielsweise ein Löwe, würden wir uns dann fatalistisch den natürlichen Umständen hingeben und uns vom Löwen angreifen und womöglich fressen lassen? Seien wir ehrlich, kein noch so natürliches Geschöpf im Tierreich würde das tun. Vernünftigerweise läuft jedes Tier weg oder versucht sich mit allen Mitteln zu verteidigen, gegebenenfalls auch mittels eines heroischen Gegenangriffs.
Ein anderes Bild aus einer bekannten Weisheitslehre: Wenn wir in das große spirituelle „Lehrbuch“ des Hinduismus, die Bhagavad Gita, schauen, sehen wir Arjuna in seinem Streitwagen, der, als er wahrnimmt, dass auch Verwandte unter seinen Feinden sind, nicht gegen seine Feinde kämpfen möchte. Er muss es letztlich doch, nolens volens. Sri Krishna macht ihm deutlich, dass es die Natur dann und wann verlangt, auch zu kämpfen. Eine solche Zeit erleben wir gerade. Das wirklich Normale und Vernünftige in dieser Zeit ist, dass wir uns aktiv gegen das Virus wehren und uns schützen.
Es braucht die Solidarität aller
Weil dieses Virus uns alle hart (be)treffen kann und weil die erfolgreiche Eindämmung des Virus nur mit der Solidarität aller gelingen kann, rufe ich hier, wie viele andere auch, zu Einsicht und Vernunft auf. Haltet Euch an die Vorgaben der Behörden! Ich denke, meine Argumentation hat deutlich gemacht, dass, soweit man es objektiv abschätzen und mit Vernunft bewerten kann, von den Behörden derzeit ein absolut vernünftiger und achtsamer Weg beschritten wird. Über die Konsequenz oder Inkonsequenz auf diesem Weg kann man sicherlich hier und da zu unterschiedlichen Meinungen kommen. Die Richtung aber stimmt. Und deshalb appelliere ich hier gerade an alle Party- und Spaßsuchenden: Übt Gemeinschaft, Solidarität und soziale Verantwortung! Bleibt zuhause, wenn irgend möglich! Unsere Schicksalsgemeinschaft braucht jetzt ein geschlossenes Miteinander.
Die Stabilität des Gesundheitssystems rettet Leben
Wenn auf dem beharrlichen Pfad der Verzögerung die Stabilität unseres Gesundheitssystems erhalten wird, dann retten wir damit vielen Menschen das Leben. Wir zahlen einen hohen wirtschaftlichen Preis, unbestritten. Dabei kann der Einzelne wirtschaftlich hart getroffen werden. So platt es klingen mag: Das Leben und das Menschsein ist mehr als Arbeit, Besitz und finanzielles Wohlergehen! Viele Menschen in diesem Land leben auch ohne Krise als Geringverdiener oder Hartz-4-Empfänger schon lange ein herausforderndes Leben. Auch solche Tiefen kann man durchschreiten, vor allem dann, wenn man bereit ist, sich mit Gegebenem zu arrangieren: Achtsamkeit hilft!
Ein Blick nach vorne
Mit der Zeit, wird wie in China derzeit, das Virus seine Dynamik verlieren und es wird Schritte geben, sich wieder aus der heute noch notwendigen Isolation zu begeben. Die Zeit, die wir mit dieser Strategie gewinnen, gibt uns ebenfalls Zeit für die Entwicklung und Erprobung eines Impfstoffs und für das Testen von Medikamenten gegen den Virus. Es gibt Medikamente, die möglicherweise die Genesung von einer Corona-Infektion deutlich unterstützen können. Medikamente, die schon bei anderen Krankheiten eingesetzt werden und einen Zulassungsprozess durchlaufen haben und daher schneller verfügbar sein könnten. Das kann uns den Weg zurück in ein „normales“ Leben bahnen.
Wertschätzung für die Helden der Krise
Ich möchte meine gesundheits- und gesellschaftspolitische Reflexion abschließen und eine Lanze brechen für die Helden dieser Krise. Unser Dank und unsere Wertschätzung gebührt denen, die hingebungsvoll „an der Front“ stehen: Ärzte, Pflegekräfte, Mitarbeiterinnen in Arztpraxen, in Apotheken, in den noch geöffneten Geschäften, in Reinigungsdiensten, in Behörden und im Polizeidienst. Diese und andere Berufsgruppen gewährleisten für unsere Gesellschaft eine Infrastruktur und eine bestmögliche Stabilität. Gerade die Gesundheitsarbeiter „an der Front“ retten ganz konkret unsere Leben. Wir haben allen Grund ihnen dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit muss sich für diese Menschen hernach auch etwas auszahlen! Gerade Pflegepersonal, aber auch Ärzte, arbeiten seit unzähligen Jahren unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, schultern dabei eine sehr hohe Verantwortung und erhalten oft Vergütungen, die viel eher eine Beleidigung sind als eine Wertschätzung. Hier darf es nicht länger ein drüber Hinweggehen geben! Und da selbst einen Achtsamkeitslehrer manchmal das eine oder andere kurzfristig auf die Palme bringt, frage ich mal bewusst provokant: Wo ist eigentlich Minister Heil mit einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag für die Pflege abgeblieben? Mit diesem Instrument könnten endlich die Löhne in der Pflege seitens eines willigen Staates erhöht werden und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Pflegeberufe könnten wieder für mehr Menschen attraktiv werden. Wo ist die sogenannte „konzertierte Aktion“ versackt? Nicht bei Minister Spahn jedenfalls, der sich, so wie ich es wahrgenommen habe, mit Engagement an die Lösung dieser Herausforderung gemacht hat. Wohlgemerkt, ich bin keineswegs ein Anhänger seiner Partei.
Der Bruch der Krise und die Achtsamkeit
Einmal tief ein- und ausatmen.
Mir war es wichtig, mich mit meinen obigen Ausführungen, klar zu positionieren und ein Signal zu senden an diejenigen, die die stimmige Einsicht der Mehrheit noch nicht teilen. Nun komme ich endlich auch zu dem, was tatsächlich mehr mein Metier als Achtsamkeitslehrer ist. Mit einem achtsamen Blick auf die Corona-Krise: Was passiert hier gerade? Was ist die Herausforderung und wie können wir damit achtsam umgehen?
Durch das Virus und seine einschneidenden Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben und auf die Wirtschaft steht unsere gewohnte Welt Kopf. Es kommt ein Bruch in unsere Erfahrungswelt. Plötzlich ist alles irgendwie anders. Für die einen ist es fundamental anders, für die anderen zumindest spürbar anders. Ich selbst habe in der Vergangenheit schon selbst eine einschneidende persönliche Krise erlebt als ich einen Rückenschaden erlitt. An ein „Weiter so“ in meinem Beruf als Krankenpfleger war nicht zu denken. An einem solchen Punkt sind wir gezwungen, uns neu zu orientieren.
There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in.
Leonard Cohen in seinem Song „Anthem„
Wir alle werden in dieser Zeit durchgeschüttelt und durchgerüttelt. Dem „Weiter so“ ist ein Knüppel zwischen die Beine geworfen worden. Und wir kennen das so nicht. Es schreit geradezu alles nach Innehalten und Besinnung. Ja, wann wollen wir uns auf uns besinnen, uns einmal fragen, wo wir stehen, was wir in diesem Leben wirklich wollen, wie wir leben wollen … ? Wann, wenn nicht jetzt?
Klausur in der Schwächephase der Hypnosen
Das hypnotische Gebäude unseres gesellschaftsideologischen status quo hat einen heftigen Schlag gegen seine Grundfesten abbekommen und bricht gerade ein wie ein Kartenhaus. Das gewohnte Hamsterrad hat für viele abrupt abgebremst, für manche ruckelt es gerade stark und läuft unrund, für andere steht es jetzt still. Zeit, tief Luft zu holen, durchzuatmen und sich zu besinnen. Muss all das, was wir uns in der Vergangenheit in unserer hypnotischen Besinnungslosigkeit mit Macht als unsere vermeintliche Realität zusammen gezimmert haben wirklich so sein? Für nicht wenige fällt nun plötzlich der stets erwartete Tribut an die wirklichen und vermeintlichen Anforderungen des Berufs, des eigenen Status oder an Beziehungen zumindest teilweise oder sogar gänzlich weg. Eine Zeitqualität einer Orientierung durch Besinnung hat sich aufgetan. Was sind oder was sollten wirklich unsere Werte und unsere Ausrichtung sein? Gerade jetzt erfahren wir vielleicht wieder mehr, was uns verbindet und entdecken das Geschenk im familiären Miteinander. Generell fordert diese Krise die Besinnung auf Gemeinsinn statt Egoismus. Deshalb kann diese Zeit nicht nur für Familien sehr bereichernd sein und den Blick auf wahre Werte lenken. Für einen nun von Stress und Freizeitkicks losgelösten Single kann dies eine bereichernde persönliche geistige Klausur mit sich selbst sein. Worum geht es hier wirklich in meinem Leben? Was brauche und möchte ich tatsächlich? Wie ist meine Verbundenheit mit anderen? Die jetzige Krise, wie übrigens alle Lebenskrisen, öffnet ein Freiraum für solche Fragen, da ist plötzlich eine Lücke im vermeintlichen Kontinuum der Gewohnheit. Dieser besondere Freiraum gibt uns nun die Chance, die hypnotischen Botschaften des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Getriebes auszublenden und uns ein Stück weit davon frei zu machen. Allzu oft verfangen wir uns sonst darin, verbeißen uns geradezu in unseren unaufhörlichen umtriebigen Dauerlauf im Hamsterrad. Zur Besinnung kommen ist angesagt! Dies ist nicht nur eine verstörende Zäsur, es kann eine wertvolle Klausur für uns sein.
Akzeptanz und Demut tun not
Diese Krise lehrt uns auch Demut. Es ist offenkundig, dass wir nicht alles im Griff haben. Das hier wollen wir vermutlich so nicht, doch wir müssen nun in dieser neuartigen und herausfordernden Situation herausfinden, wie wir uns am Besten damit arrangieren können. Akzeptanz und Pragmatismus tun Not. Hysterie, ein eigensinniges Pochen auf vermeintliche persönliche Freiheit sowie unsolidarisches Hamstern, das getrieben wird von teils feindseligem Eigennutz, sind kontraproduktiv. Das ist ein Sägen am Ast auf dem wir gemeinsam sitzen, denn es gefährdet uns alle in einer Zeit, in der wir uns brauchen und allesamt an einem Strang ziehen sollten. Die Achtsamkeit wiederum sagt „Es ist, wie es ist“. Lamentieren ist nicht hilfreich. Tatsächlich kann uns jede Erfahrung etwas lehren. Möglicherweise eröffnet sich ja auch eine Chance, aus den sauren Zitronen dieser Zeitqualität Limonade zu machen. Akzeptierend mit dem umzugehen, was nun da ist, ist allemal produktiver und bereichernder als sich in Hysterie, Eigensinn, Panik, Eigennutz oder irgendwelche davon galoppierende Gefühle zu verlieren. Es hilft uns nichts, die Situation mit allerlei Bewertungen abzustempeln. Mit Achtsamkeit ist es möglich, sich offen dem zu stellen, was wirklich Fakt ist und damit im Rahmen unserer Möglichkeiten so gut es geht umzugehen. Gerade in Krisen tut Achtsamkeit not. Sie ist keine Schönwetter-Haltung mit ein bißchen Meditieren und Schönes genießen. Bei vielen „achtsamen“ Menschen habe ich manchmal das Gefühl, es ginge bei Achtsamkeit darum, Achtsamkeitsübungen auszuführen, Achtsamkeit zu üben. Und wann wird sie dann gelebt? Wann wird das Als-Ob-Getue im Alltag lebendig? Ich habe es in diesem Blog schon öfter anklingen lassen: Erlebe den wertfreien Moment, die Stille, in der alles für uns in Ordnung ist, wo wir nirgends hin müssen und nichts erreichen müssen. Wenn wir das kennen und den Unterschied wahrnehmen zu unserem Erleben, wie wir es oftmals im Alltag erfahren, dann wird begreifbar, was uns Achtsamkeit geben kann. Darüber kann es dann gelingen, das Bewerten und Konzeptualisieren aufzugeben, offen für die Wirklichkeit, die spürbar vor uns steht. Die wahre Übung der Achtsamkeit ist, den achtsamen Blick und wahres achtsames Verhalten im Alltag wieder und wieder einzuüben. In diesem Sinne ist hier, jetzt in dieser Krise eine gute Gelegenheit, Achtsamkeit zu leben und dabei Gelassenheit und Resilienz (psychische Widerstandskraft) zu erwerben. Damit ist nicht gemeint, dass sich jemand aufgefordert fühlen sollte, immer vernünftig und gelassen zu bleiben. Eine solche „Vorschrift“ gibt es nicht.
Sachgerecht zu Werke gehen
In dieser Krisensituation achtsam zu sein, bedeutet nicht „Om“ zu chanten und das Meditieren zu forcieren. Verschließen wir nicht unsere Augen vor dem, was gerade „Sache ist“. Wenn wir als selbständige Kleinunternehmer jetzt einen Antrag stellen müssen, um Zuschüsse zu erhalten, damit die Selbständigkeit irgendwie fortgeführt werden kann, dann steht das als allererstes an. Das ist die Sachlage! Dasselbe gilt, wenn wir dafür sorgen müssen, dass wir Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld 1 oder 2 (Hartz 4) erhalten. Wenn es offenkundig um unsere Existenz geht, dann liegt es auf der Hand, dass wir uns damit befassen müssen. Doch wir können all das achtsam angehen. Sachgerecht und ohne uns verrückt zu machen. Wenn wir merken, dass wir uns ob der Beschäftigung mit all den Anforderungen verrückt machen und uns Schreckensszenarien ausmalen, dann gilt es inne zu halten. Was ist wirklich gerade da? Was ist nur vorgestellt? Was ist jetzt zu tun und was ist Projektion? Wie sieht es aus, wenn ich mir das wertfrei ansehe? Zwischendurch Pausen einzulegen und für eine Zeit einfach mal still draußen in der Natur zu verweilen kann uns wieder auf den Boden, zur Sachlichkeit und zur Achtsamkeit zurück bringen.
Diejenigen, die in dieser Krise mehr denn je gefordert sind und eine gewisse Stabilität des Systems aufrecht erhalten, brauchen auch Achtsamkeit. Ihre Achtsamkeit hat jetzt viel damit zu tun, Grenzen zu setzen, auf Ihren Eigenschutz zu pochen und gegebenenfalls eine auch monetäre Wertschätzung einzufordern. Aber eins nach dem anderen. Selbstfürsorge ist jetzt wichtig. Wie geht es mir gerade? Was geht gerade und was geht einfach nicht mehr? Und nicht unter den Tisch fallen lassen: Was brauche ich? Wir können nur so, wie es unsere Möglichkeiten zulassen! Und schaut nicht auf den Berg der Anforderungen, schaut lieber auf den nächsten Schritt! Bewertungen, Erwartungen und Vorstellungen, was sein sollte, was man tun sollte, wie widrig die Situation vermeintlich ist, sind nicht hilfreich. Könnte ich das jetzt vielleicht auch loslassen? Was ist jetzt möglich, machbar, leistbar? Was steht nach meinem Empfinden wirklich an? Niemand trägt die Verantwortung, die ganze Welt zu retten! Das persönlich Bestmögliche zu tun, ohne sich selbst merklich zu schädigen, ist immer ausreichend.
Mit den Krisengefühlen umgehen
Wer ob der außergewöhnlichen Situation mit schwierigen Gefühlen zugange ist, der kann pragmatisch dort sein, wo er de facto ist. Das Gefühl ist da, es existiert. Seine Existenzberechtigung bestreiten zu wollen und es zu bekämpfen macht es nur noch größer und zum Problem. Besinnen wir uns auch hier. Ohne Widerstand dagegen zu setzen und sogar ohne dem Gefühl einen Namen zu geben, können wir uns fragen: Wie ist das, was ich da fühle? Was fühle ich denn da wirklich? Es fühlen. Nicht benennen oder bewerten, ohne Worte, ohne Begrifflichkeiten. Es kennen lernen: Ah, so fühlt es sich an, so ist es jetzt gerade. Wir schauen gewissermaßen unvoreingenommen drauf. Und plötzlich bemerken wir vielleicht: Wir können damit sein! Es ist nicht so völlig unerträglich, dass es uns gleichsam umbringt. Und so könnten wir es ja auch als eine normale Erfahrung unseres Lebens begreifen, nichts weiter. Eine neue Erfahrung, die wir gerade kennen lernen. Auf diese Weise können wir uns in dieser Corona-Krise üben, mit dem zu sein, was ist. Es mag ungewohnt sein, mag sich unangenehm anfühlen, aber es ist faktisch das für uns Normale in dieser Situation. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Zeit. Bleiben Sie gesund und heil.
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