Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Alles hat seine Zeit (Turn, turn, turn)
Wie krampfhaft versuchen wir doch manchmal, voran zu kommen, unsere Ziele zu erreichen, etc. etc. ! Wir machen uns selbst Druck, weil wir glauben, dass wir genau dies, was es vermeintlich zu tun gibt, unbedingt jetzt tun müssten, abarbeiten müssten … . Viele hehre Ziele, die uns antreiben, Verantwortungsgefühle und Pflichtgefühle, die uns immer noch eine Schippe drauf legen lassen, auch wenn wir schon lange genug haben und eigentlich überfordert sind. Es gibt auch Situationen, in denen wir glauben, wir müssten unbedingt sofort eine Entscheidung treffen. Eine solche Situation wurde für mich einst zu einer Schlüsselerfahrung, die mir in besonderer Weise bewusst machte, wie im Sinne der Achtsamkeit alles seine Zeit hat, wie schon die Bibel sagt …
Achtsamkeit in der Bibel
Alles hat seine Zeit
1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
2 Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
… usw. …Die Bibel, Altes Testament, Prediger 3
Eine Frage der Selbstfürsorge
Dass es nicht achtsam ist, wenn wir uns Druck machen und uns geradezu zu bestimmten Handlungen zwingen, liegt auf der Hand. Wir gehen in solchen Momenten über unsere eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse rücksichtslos hinweg. Achtsame Selbstfürsorge? Fehlanzeige!
Die Qualität der Unentschiedenheit
Wenn wir vermeintlich vor Entscheidungen stehen und von uns erwarten, dass wir nun bitte endlich eine Entscheidung treffen mögen, bemerken wir oft nicht, dass wir uns auch hierbei wenig achtsam verhalten. ‚Aber wir müssen uns doch entscheiden‘, mögen wir entgegnen. Gewisse Momente und Situationen scheinen es zu verlangen. Ja, manchmal müssen wir uns tatsächlich schnell entscheiden. In einer Notfallsituation zum Beispiel, bei Gefahren und wenn wir physisch bedroht werden. Aber, seien wir ehrlich zu uns selbst: Die Situationen, in denen wir uns in Wahrheit nicht sofort entscheiden müssen, sind weitaus zahlreicher. Viele Entscheidungen vertragen ohne weiteres einen Aufschub und sind gar nicht so dringlich, wie es der oft selbstgemachte Druck suggeriert. Als ich damals glaubte, mich sofort entscheiden zu müssen, bemerkte ich, dass ich in jenem Moment schlicht nicht in der Lage war, mich angemessen zu entscheiden. Tatsächlich musste ich mich auch gar nicht sofort entscheiden, es hatte Zeit! Das eigentliche Aha-Erlebnis für mich war, zu entdecken, dass Unentschiedenheit eine Qualität ist, die zum Leben gehört und die nicht sofort beendet werden muss! Unsere fixe Idee ist oft, dass wir gleichsam an einer Weggabelung stehen und uns zwischen zwei Alternativen entscheiden müssen … und zwar jetzt. Hey, zwischen der Entscheidung für das Eine oder das Andere kann ein Stadium der Unentschiedenheit liegen! Was manchmal tatsächlich da ist, ist: Ich kann mich gerade nicht entscheiden, keine Meinung, keine Ahnung.
Die Luft raus lassen …
Ja, wir müssen uns nicht immer entscheiden, wenn wir glauben, wir müssten. Unentschlossen und unentschieden zu sein ist ein normaler Seinszustand, den man nicht zwanghaft wegmachen muss. Die Entscheidung ist manchmal eben noch nicht dran. Sie reift gerade erst. Warum nicht einfach mal abwarten, was sich herauskristallisieren wird? Wenn die fixe Idee, sich sofort entscheiden zu müssen, abgelegt wird, dann ist das, wie wenn man die Luft aus einem Ballon ablässt, der zum Platzen voll war. Entspannung! Wohltuende Entspannung.
Turn, turn, turn
Der 2014 verstorbene amerikanische Folk-Sänger Pete Seeger, sang Ende der 50er-Jahre einen eingängigen melodischen Song mit den Bibelversen aus Prediger 3
To Everything (Turn, Turn, Turn)
There is a season (Turn, Turn, Turn)
And a time to every purpose, under Heaven [Refrain]
A time to be born, a time to die
A time to plant, a time to reap
A time to kill, a time to heal
A time to laugh, a time to weep
[Refrain]
… usw. …
Achtsame Realitäts-Checks
In diesem biblischen Sinne: Wir stehen, wo wir sind! Manches ist reif, seine Zeit ist gekommen. Manches braucht noch Zeit. Achtsamkeit ist, wenn wir genauer hinschauen und nachspüren, wo wir eigentlich wirklich stehen. Innehalten ist wertvoll. Sich immer mal wieder fragen, wo man wirklich steht. Ist es wahr, was ich denke und glaube? Ist es real? Wie ist es vielleicht wirklich? Muss das jetzt sein? Achtsamkeit ist, wenn wir dem Raum geben, was schon ist und was wir schon sind – dem, was dran ist. Das gilt für vermeintlich zu treffende Entscheidungen wie auch für andere Anforderungen in unserem Leben. Leben mit den Dingen wie sie sind. Bringt ein Bauer seine Saat im Winter aus? Erntet er sein Obst, wenn es noch nicht reif ist? Alles hat seine Zeit …
Flow
Ja, es macht sehr viel Sinn, ein Gespür für die Zeitqualität und die eigene momentane Befindlichkeit zu entwickeln. Es bringt uns in die Gegenwart. Hierhin! Und es bringt uns zu uns. Wir können Fühlung aufnehmen mit unserer Intuition und unserem Wesenskern. Unmittelbar spüren, was jetzt gerade ansteht, wo es mit uns hin will. Sich bewusst sein, wer ich bin, hier, jetzt. In Einklang kommen mit unserem natürlichen Lebensfluss. Manchmal gibt es den Glücksfall, dass uns dieser natürliche Fluss irgendwann einmal während Minuten oder Stunden als Erfahrung des „Flow“-Zustandes begegnet. Unmittelbares Handeln ohne die üblichen Konzepte und Pläne. Bewusstsein und Handeln zwischen die kein Blatt Papier passt. Anstrengungslos handeln ohne Absicht, zu handeln. Momente, in denen alles wie von selbst geschieht und wir nicht mehr fragen müssen, was gerade ansteht. Sein. Bitte jetzt kein Ziel aus diesem ‚Ideal‘ machen! Sein ist kein Ziel. Wir sind schon.
An dieser Stelle möchte ich nicht weiter auf den „Flow“-Zustand eingehen. Den Flow-Zustand kennt jeder. Es ist dieser Zustand, wenn wir selbstvergessen in einer Tätigkeit aufgehen, beschwingt dabei sind, inspiriert sind und Freude daran haben, wenn es uns leicht von der Hand geht, geradezu mühelos. Über diese Erfahrung eines jeden hinaus, gibt es einen sehr intensiven Flow-Zustand, der dem gewöhnlichen Flow ähnelt, andererseits aber schon mystischen Erfahrungen nahe kommt und vor allem durch eine sehr deutliche Abwesenheit einer Ichhaftigkeit gekennzeichnet ist. Das ist in gewisser Weise schon eine Art Einssein mit allem. Zwei Mal in meinem Leben durfte ich diesen unglaublichen Zustand für einige Stunden erfahren und es ist noch gar nicht so lange her … . Ich verspreche, dass ich auch einmal ausführlicher über den „Flow“ schreibe. Wann? Alles zu seiner Zeit. Ich habe das Gefühl, dass es bald sein wird …
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