Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Du bist okay!
Akzeptanz ist eines der grundlegenden Prinzipien von Achtsamkeit. Das annehmen, was schon so ist, wie es ist. In erster Linie beziehen die meisten Menschen diese ‚Anforderung‘ auf die Annahme von gegebenen Lebensumständen. In zweiter Linie geht der Blick dann auf schwierige Gefühle und Gedanken und man übt sich darin, damit akzeptierend umzugehen. Am wenigsten vielleicht wird verstanden, wie enorm wichtig es ist, sich selbst, der Person, die man ist, grundsätzlich mit Akzeptanz und Milde zu begegnen. Stattdessen wird die Achtsamkeitspraxis zuweilen unbewusst als Instrument zur Selbstoptimierung begriffen.
Erkennen, wie wir mit uns selbst umgehen …
Für mein Empfinden sind Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl im Zusammenhang mit Achtsamkeit das wichtigste Thema überhaupt. Vielen von uns fällt es sehr sehr schwer mit sich selbst verständig, pfleglich, wertschätzend und mitfühlend umzugehen. In der Leistungsgesellschaft richtet sich der Blick sehr beständig immer und immer wieder auf das, was wir erreichen wollen, wie wir sein wollen, wie wir uns gerne präsentieren wollen, usw., usw.. Wie oft fragen Sie und ich danach, wie es uns selbst dabei geht, wenn wir uns so sehr abmühen für dieses Bild, das wir abgeben möchten?
Ich wünsche Ihnen, dass Sie den erschütternden Moment erfahren, in dem Sie wirklich sehen und spüren, was Sie sich da zumuten, was Sie da mit sich treiben. Dieser Wunsch ist nicht böswillig, ich wünsche Ihnen tatsächlich eine sehr wertvolle Erfahrung, die ein Wendepunkt in Ihrem Umgang mit sich selbst sein kann. Sich betroffen und erschüttert gewahr werden, wie ich mir das Leben unnötig schwer mache, wie ich mir selbst vielleicht mit einer Härte begegne, die ich keinem anderen zumuten würde. Sehen, wie ich in einem altbekannten leidvollen Verhaltensmuster mit mir umgehe und erahnen, dass es mir noch eine ganze Weile erhalten bleiben wird, weil es so sehr eingeprägt ist und sich höchstwahrscheinlich nicht gleich beim ersten Verstehen auflösen wird. Ich hatte diesen schmerzlichen Moment und ich weiß, dass er uns weicher macht. Er schenkt Milde, zumindest ein bisschen. Und er hilft, dann und wann, bewusst etwas pfleglicher mit uns selbst umzugehen.
Die Brillen der Selbstwahrnehmung
Warum verlieren wir so oft das (Mit-)Gefühl für uns selbst? Deswegen: Wir haben eine Menge Erwartungen an uns selbst und wir glauben an bestimmte gesellschaftliche Vorgaben. Da gibt es Normen oder Verpflichtungen, die wir vermeintlich zu erfüllen haben. Wir haben ein Bild, wie es sein sollte und ein Selbstbild, wie wir sein sollten. Und genau dem weisen wir die höchste Wertigkeit zu. Eine Orientierung an äußeren Kriterien, eine Außenorientierung erhält den höchsten Stellenwert, sie wird gleichsam wichtiger als wir selbst. All diese Erwartungen und Normen sollten wir mit gesundem Menschenverstand hinterfragen und abwägen. Sie werden ansonsten gerne mal zu einer Quelle von Selbstobstruktion und Leid. Sie können es uns ungemein erschweren, mit uns selbst wirklich in Frieden zu leben.
Wenn wir uns durch all diese Brillen ansehen und uns danach beurteilen, geraten wir oft in eine ablehnende Distanz zu uns selbst. Diese Identifikation mit äußeren Beurteilungskriterien zieht uns den Boden unter den Füßen weg, weil wir nicht in unserem eigentlichen Sein gründen. Diese Distanzierung von uns selbst behindert unseren Energiefluss. Wir haben dann Schwierigkeiten in unserer Kraft zu sein, unsere Vitalität zu spüren. Ich möchte das hier nicht vertiefen, denn ich möchte Ihnen hier vor allem eine Sichtweise vorstellen, die Sie unterstützen kann.
Du bist okay, so wie Du bist!
Du bist okay, so wie Du bist! Darum geht es mir hier. Ob wir je etwas vermeintlich richtig oder falsch gemacht haben, sollte für unseren Seelenfrieden im Allgemeinen irrelevant sein. Das ist im Kern eine Sicht durch aufgesetzte Brillen, übergestülpte Urteile und Interpretationen. Wir sind in einem bestimmten Lebensmoment nicht von ungefähr so, treffen nicht von ungefähr diese oder jene Entscheidung! Wie wir ‚sind‘ und handeln ist folgerichtig! Wir haben z. B. viele Verhaltensweisen angenommen, weil sie für uns eine Lösung waren in einer bestimmten schwierigen Situation oder weil sie zu sehr wünschenswerten Ergebnissen geführt haben. Aufgrund unserer Erfahrungen in der Vergangenheit haben sich ganz spezifische Verhaltenstendenzen herausgebildet. Wir haben alle unsere spezifischen Prägungen. Was heute in einem anderen Kontext merkwürdig oder nicht wünschenswert erscheinen mag oder gar ‚falsche‘ Ergebnisse zeitigt, war vielleicht mal eine hilfreiche Lösung. Zumindest entspricht es einer Logik! Wenn man den Entstehungskontext erinnern kann, bzw. allgemein gesprochen, wenn man den Kontext kennt, dann ist die Art und Weise, wie wir uns hier und heute präsentieren, völlig verständlich. Es ist natürlicherweise so! Milde in der Beurteilung von uns selbst ist mehr als angebracht. Du bist okay, so wie Du bist!
Wir sind nicht irgendwie „daneben“ und haben tausenderlei Fehler gemacht, um schließlich so zu missraten. Haben wir denn je „Fehler machen“ wollen? Nein, in aller Regel streben wir nichts anderes an als etwas, das wir für richtig und gut halten. So lange wir eine gewisse Kontrolle haben, versuchen wir bestmögliche Lösungen zu realisieren. Als Fehler erscheinen uns manche Handlungen nur hinterher, wenn sich zeigt, dass wir uns in unserer Sichtweise vielleicht geirrt haben. Haben wir uns irren wollen? Nein, gewiss nicht. Die Redensart sagt „Hinterher ist man klüger“. Wohlgemerkt, hinterher. So gesehen, haben wir nie etwas falsch gemacht. Wir haben auch nie etwas richtig gemacht! Wir haben immer nur getan, was wir in einer Situation für angemessen, richtig, wünschenswert, hilfreich usw. gehalten haben oder was eben unserer unbewussten Prägung entsprach. Und wir können in einer Situation nicht wissen, ob unsere Entscheidung uns auch noch in der Zukunft als richtig erscheinen mag. Tatsächlich fallen unsere Entscheidungen in der Mehrzahl der Fälle sogar unbewusst und spontan. Sie basieren auf unseren Prägungen. Richtig oder falsch? Wir haben gehandelt, wie wir letztlich gemäß unserer innewohnenden Prägungen oder Tendenzen handeln mussten. Aufgrund von Einsichten können wir uns für die Zukunft durchaus vornehmen anders zu handeln und wir können mit Hilfe der Achtsamkeit (Bewusst innehalten!) versuchen, diese Absicht umzusetzen. Grundsätzlich und zunächst einmal sollte aber gelten: Du bist okay, so wie Du bist!
Dies ist unter anderem ein Plädoyer dafür, mit uns selbst in Frieden zu sein, weil wir nun mal sind, wie wir entwicklungsbedingt momentan nur sein können. Natürlich ist dies eine Verallgemeinerung, die Sonderfälle außer Acht lässt. Bitte kein Statement für ein unethisches Handeln herauslesen! Beispielsweise zu denken, „Wenn alles okay ist, was ich tue, dann kann ich ja auch die nächste Bank überfallen.“, wäre eine irrige Sichtweise und würde sicher eine Vielzahl von Schwierigkeiten generieren. Wenn wir auf diese schiefe Bahn geraten, dann verfallen wir gewissen Ego-Tendenzen, die uns in Wahrheit nicht wirklich entsprechen.
Wer in der Vergangenheit Dinge getan hat, die vielleicht sogar den ‚normalen‘ Rahmen von Menschlichkeit sprengen, Taten, die womöglich gesellschaftlich geächtet und mit Strafe bedroht sind, kann natürlich schwerlich davon ausgehen, dass alles okay war, was er getan hat. Und wenn ein Mensch für eine Handlung, von der er weiss, dass sie mit Strafe bedroht ist, dann auch bestraft wird, dann ist das Beklagen der Bestrafung gewiss unbegründet. Es sind besondere und oft verfahrene Konstellationen, in denen einzelne Menschen extremen widersinnigen Tendenzen verfallen. Auch ein solcher Mensch ist als Person natürlich einfach so, wie er ist, aber er tut dann sicher gut daran, sich bewusst zu werden, wann er in Übereinstimmung mit einem natürlichen Handeln war und ist und wann er stattdessen auf einem Ego-Trip war oder ist. Gewiss ist dann früher oder später auch eine emotionale Bereinigung vonnöten: Seine Betroffenheit spüren oder gar die heftigen Missempfindungen über eine frühere „Untat“. Erfahren, spüren, annehmen. Aber auch hier: Das Urteilen über sich unterlassen.
Gerade Achtsamkeit weiß auch um die Verbundenheit von allem. Daraus erwächst ein ethischer Rahmen, den wir nicht einfach über Bord werfen können. Bleiben wir also, wenn wir können, in einem ethischen Rahmen und tun unser Bestmögliches. Im besten Fall das, was wirklich ein stimmiger Ausdruck von uns selbst ist.
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