Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Richtungsstreit: Aktiv oder reaktiv leben?
Es gibt zwei grundsätzliche konträre Lebensausweisen, denen wir in unserem Leben folgen können. Wir können unser Leben, wie ich es hier bezeichnen möchte, in einem aktiven Lebensmodus oder in einem reaktiven Lebensmodus führen. Gewiss leben wir alle mal auf die eine Art, mal auf die andere Art. Bei der übergroßen Mehrheit der Menschen indes dominiert vermutlich der reaktive Modus sehr deutlich. Vielleicht wundern Sie sich über diese Aussage, weil Sie vermuten, dass ich von einem aktiven, unternehmungslustigen Leben gegenüber einem eher angepassten oder gar einem Leben als Couchpotato spreche. Mitnichten.
Reaktiv unterwegs. To-Do-Listen und anderes …
Um was geht es dann? Die reaktive Lebensweise ist den allermeisten von uns bestens bekannt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wenn wir reaktiv leben, dann ist unser Leben geprägt von Verpflichtungen und Aufgaben, von Zielen und Wegen dahin, von Plänen und To-Do-Listen. Wir handeln, indem wir unseren Blick schier ununterbrochen auf all die Aufgaben richten, die wir scheinbar erfüllen ‚müssen‘, bzw. auf Herausforderungen, die wir meistern möchten. Und wir versuchen zielgerichtet, wenn nicht gar verbissen, unseren Job zu machen und Ziele erfolgreich umzusetzen. Der Pflichtcharakter, das ‚Müssen‘, das ‚Sollen‘ oder ein hartnäckiges ‚Wollen‘ stehen im Vordergrund. Die vermeintlichen Aufgabenstellungen und Anforderungen der Umwelt an uns nebst unseren eigenen Erwartungen an uns treiben ‚uns‘ vor sich her und bestimmen auf welchen Pfaden wir in unserem Leben reaktiv ‚aktiv‘ sind. Und das hat Folgen! Vor allem all das Müssen und Sollen hinterlässt das oft unbewusste Empfinden, dass wir fremdgesteuert sind, dass das Leben an uns vorbeiläuft und wirft mit dem Fortschreiten der Jahre zunehmend die Frage auf, was wir selbst denn wirklich von einem solchen Leben haben, und auch, was wir selbst eigentlich wollen in diesem Leben. Doch eine Fremdsteuerung ist hier mitnichten am Werk. Wir selbst sind es ja, die all diesen vermeintlichen Anforderungen den höchsten und bestimmenden Stellenwert zuschreiben und uns all die Last auferlegen! Wir glauben, es müsste so sein. Natürlich sind unsere Verhaltensweisen zu weiten Teilen anerzogen, weswegen wir nachsichtig mit uns sein sollten und Verständnis und Mitgefühl für unser Verhalten haben sollten.
Aktiv kann in Wirklichkeit reaktiv sein
Auch viele von denjenigen, die sehr aktiv erscheinen, können in Wirklichkeit von Reaktivität angetrieben sein. Was wird nicht alles getan, um sich zu produzieren? Extremsport, übermäßiges Fitnesstraining, Event-Hopping, Weltreisen in die hintersten Winkel, wo möglichst kaum ein anderer war, usw. Natürlich gilt diese Aussage nicht für alle und jeden. Doch viele möchten mit solchen Aktivitäten cool oder besonders erscheinen, wobei dann letztlich Statusdenken, Imagepflege oder die Sucht nach Anerkennung im Vordergrund stehen. Auch bei diesen Aktivitäten wird daher nicht immer kultiviert, was einen wirklich ausmacht und auf was es für den Einzelnen persönlich vielleicht wirklich ankommen sollte. So gesehen entpuppen sich dann die Aktiven teilweise ebenfalls als reaktiv.
Ein inneres Pflichtenheft zur Selbstverwirklichung?
Die Fixierung auf den reaktiven Lebensmodus schadet uns. Sie beraubt uns unserer Energie, weil wir nicht an unseren natürlichen inneren Energiefluss angebunden sind. Unser innerer Energiefluss strebt zum Selbstausdruck, in ihm finden wir uns wieder als der, der wir wirklich sind. Im reaktiven Lebensmodus sind wir nicht in unserer Kraft, weil wir uns von auferlegten „äußeren“, gleichsam abstrakten, Normen bestimmen lassen! Mit dieser vielmals gefühlt fremdbestimmten Lebensweise finden wir keine Befriedigung. Und es kann sogar richtig paradox werden, denn manchmal können wir durchaus erkennen, in welchen Betätigungen wir einen guten Selbstausdruck finden können. Mitunter erheben wir diese Betätigungen dann aber zum Ideal unserer Selbstverwirklichung und legen dafür eine Art inneres Pflichtenheft an. Das bedeutet: Wir glauben dann, dass wir zugunsten unserer Selbstverwirklichung eine Art „Pflicht“ haben, dieses und jenes umzusetzen. Wir nehmen wahr, was unserem Selbstausdruck entspricht, formulieren daraus dann aber fixe Ziele und machen weitere zu erfüllende Pflichten daraus. Und das kann sich mithin richtig schlecht und unbefriedigend anfühlen. Der Weg zu unserem erfüllenden Ziel kann uns mit dieser verqueren Haltung geradezu zur Last werden und es ist durchaus fraglich, wie lange wir ihn unter solchen Bedingungen gehen können. Wenn sich das eigentlich ‚Richtige‘ so unstimmig anfühlt, können sogar Zweifel aufkommen, ob die eingeschlagene Richtung zu uns selbst wirklich richtig ist, oder ob wir nicht eher an einem Hirngespinst kranken. Es ist wichtig, zu erkennen, was wir da tatsächlich tun, um vermeintlich uns selbst zu leben. Und es ist nötig, irrige Herangehensweisen infrage zu stellen. Am besten gelingt das, wenn wir uns per Reflexion darüber klar geworden sind, was auf unserem derzeitigen Lebensweg in Wahrheit reaktive Elemente sind und über was wir andererseits wirklich in einen aktiven Lebensmodus gelangen. Das unterscheiden zu können, gibt uns Orientierung.
Aktiv unterwegs. Unser Leben kann unsere Botschaft sein!
Beim aktiven Lebensmodus geht es eher nicht darum, ein konkretes Ziel im Sinn zu haben und nach Plan zielführende Schritte zu unternehmen. Im aktiven Lebensmodus drängt es uns in erster Linie einfach nur zum unmittelbaren Selbstausdruck. Mag sein, dass wir deutlich spüren, dass eine echte Gabe und Berufung in uns angelegt ist, die wir in dieses Leben und in die Gemeinschaft einbringen können und wollen. Und gewiss wollen wir uns mit unserer persönlichen Qualität mitteilen. Möglicherweise haben wir ja eine Botschaft, die in unserem Leben zu einem greifbaren Ausdruck kommen soll. Ja, unser Leben kann tatsächlich unsere Botschaft sein! Unser Leben bietet die Möglichkeit, unseren ganz eigenen Fußabdruck zu hinterlassen. Sind wir nicht begeistert, beflügelt und beseelt, wenn etwas in einem bestimmten Lebensmoment genau „unser Ding“ ist? Dann folgen wir jedoch nicht wirklich einem Ziel, sondern „das Ziel“ ist schon ganz hier in uns verwirklicht. In diesem Fall leben wir also, was wir (schon) sind. Infolgedessen bringen wir in jeden Moment und jede Lebenssituation unsere persönliche Farbe ein. Dieser Lebensmodus, das wird jedem ohne weiteres klar sein, ist überaus befriedigend und erfüllend. Hier sein mit meiner Botschaft, in meinen eigenen Schuhen gehen, aus meiner eigenen inneren Weisheit und meinem Sosein schöpfen. Das ist etwas völlig anderes als die gewohnte Aufspaltung in „Ich“ und „mein Ziel“ im reaktiven Modus. Im aktiven Lebensmodus gehen uns die Dinge eher leicht von der Hand. Was wir tun, ist schließlich einfach nur unser natürlicher Selbstausdruck.
In unsere Energie kommen. Ich bin schon!
Natürlich ist dies ein Plädoyer für einen aktiven Lebensmodus. Wie kommen wir da hin? Am Anfang steht zweifellos das Beobachten und Erkennen, was wir tun. Wie ist es und wie fühlt es sich an, wenn wir reaktiv unterwegs sind? Und wie fühlt es sich im Gegensatz dazu an, wenn wir aktiv unterwegs sind? Das fassen zu können, hilft uns, uns in unsere Kraft zu begeben, sprich im aktiven Lebensmodus unseren Selbstausdruck zu leben. Weil wir darauf achten, finden wir mit der Zeit heraus, welches die Dinge sind, die uns guttun und die wir für uns als befriedigenden Ausdruck unserer selbst erfahren. Mit bewusster Selbstfürsorge können wir uns ausrichten, eher die Dinge zu tun und zu verfolgen, von denen wir spüren, dass wir uns darin wiederfinden und dass sie für uns stimmig sind. Und auch die Art und Weise, wie wir etwas tun, können wir so modifizieren, dass es sich für uns im Innersten ‚richtig‘ anfühlt. Und so tun wir mehr und mehr etwas, weil wir uns gerade so ausdrücken möchten, weil wir spüren, wie wir dabei in unserer Energie sind. Wir finden mit der Zeit die Sicherheit, dass wir nur auf diese Art und Weise sinnvoll leben können. Wir werden in der Lage sein, all die Verunsicherung zu überwinden, die uns von irreführenden Souffleuren mit „Du bist nicht gut genug“, „Du solltest anders sein“, „Du musst es so machen“ usw. eingeflüstert wurde. Es braucht keinen großen Plan, es reicht im Moment zu sein und in diesem Moment ohne Konzept, aber im Bewusstsein dessen, was wir ausdrücken möchten, zu handeln. Das ist in gewisser Weise ein Handeln, ohne etwas zu wissen. Es folgt stimmigen Impulsen, die zum Ausdruck drängen. Insofern stellt sich die Frage nicht, was wir tun sollen, um in einen aktiven Lebensmodus zu gelangen. Die Strategie, die wir uns wünschen, ist ein Stück weit ein Holzweg. Sicherlich können wir herausfinden, bei welchen Tätigkeiten wir uns wiederfinden. Wo fühlt es sich besonders stimmig an? Wo fühlen wir unsere Energie? Somit können wir dann versuchen, all diese aktivierenden Tätigkeiten mehr in unser Leben zu integrieren. Dennoch, jenseits der Strategien, die ja selbst im Kern eine reaktive Ausrichtung sind, geht es schlicht um die Besinnung auf uns, hier, jetzt. Sich klar sein darüber, was hier und jetzt da ist. Achtsamkeit gegenüber uns selbst. Selbstfindung von Moment zu Moment, Authentizität. Sein, wer wir (schon) sind. Wir sind schon das, was uns ausmacht! Wir sind letztlich angetrieben von unserem wirklichen Sosein. Eine Rose muss nicht fragen, wie sie eine Rose werden kann. Sie ist es schon!
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