Einen Moment bitte …
Wenn wir uns ‚zwischendurch‘ einen Moment zum Durchatmen nehmen, einen Moment, um einfach mal nur unser Leben in der Erfahrung jenes Moments zu genießen, dann kann aufscheinen, wie einfach und natürlich es eigentlich ist, achtsam zu sein. Wenn wir indes dieses Verweilen im Moment unseren gewöhnlichen Alltagserfahrungen gegenüber stellen, dann schauen wir auf viele mühevolle Bestrebungen zum Erreichen von Zielen. Und wir können entdecken, wie krampfhaft wir versuchen, unser Leben in Kontrolle zu bekommen und Sicherheit zu gewährleisten. Nur, … es gibt diese Kontrolle und Sicherheit nicht.
Ein stiller Moment
Gestern, noch im Februar, hatten wir hier angenehme Frühlingstemperaturen. Es fühlte sich in der Sonne an wie 20 Grad. Ich hatte versprochen, mich etwas um einen alten Herrn im Pflegeheim zu kümmern und ich besuchte ihn dort. Die meisten dieser Heime haben für ihre Bewohner schöne Gärten mit Sitzgelegenheiten. Also transferierte ich ihn in seinen Rollstuhl, fuhr mit ihm in den Garten und wir saßen dort fast 2 Stunden. Viele alte Menschen kommunizieren von sich aus nicht mehr viel und so sitzt man in so einem Garten dann eben die meiste Zeit zusammen da in Stille. Nichts Besonderes, nichts zu tun. Sich von der Sonne bescheinen lassen, die Wärme genießen und die schöne Umgebung. Es herrscht Gelassenheit, Ruhe und innerer Friede, solange man sich nicht von Gedanken fortreißen lässt, die uns mit allerlei angeblichen Aufgaben oder gar mit Ängsten konfrontieren. Nun, man kann einfach nur glücklich und zufrieden sein, wenn man so im Garten sitzt. Eigentlich wollte ich mir Gedanken machen über meinen nächsten Blogbeitrag, diesen hier. Meinen Notizblock habe ich aber schnell zur Seite gelegt, ohne irgendetwas Ansprechendes notiert zu haben. Und doch schreibe ich nun diesen Beitrag und beziehe mich auf genau diese Situation.
Die Einfachheit der Achtsamkeit
Jeder kennt diese Erfahrungen. Momente in der Natur, wenn man still schaut und alles einfach auf sich wirken lässt. Ist es etwas Besonderes? Eigentlich nein. Es sind Momente von Einfachheit und Natürlichkeit. Es sind Momente einer natürlichen Achtsamkeit. Wie gesagt, wir lassen das Wahrgenommene einfach auf uns wirken. Bewertungen? Oftmals kommen sie uns dabei nicht in den Sinn. Alles ist dann einfach nur wertfrei so, wie es ist. Und wir sind aufmerksam und gegenwärtig in solchen Momenten, aber müssen das nicht machen und uns dafür anstrengen. An diesem Punkt können wir verstehen, dass Achtsamkeit keine Methode oder Technik ist, sondern letztlich pures einfaches Sein. Wie einfach es doch ist, achtsam zu sein!
Der Kontrast der Alltagserfahrung
Derlei Erfahrungen sind Momente jenseits des Tohuwabohus, in das wir im Alltag gerne mal geraten. Gewiss sind wir vielleicht nicht so oft in einer solch‘ geruhsamen Umgebung und unser innerer Friede wird uns vermeintlich vielerorts geradezu entrissen. Man lässt uns nicht einfach in Ruhe. Die Frage ist allerdings, in welche innere Haltung wir in genau diesen mehr oder weniger stressigen Alltagssituationen geraten. Was ist denn der Unterschied zu jenen friedvollen Erfahrungen in der Natur?
Die Erfahrung der Dualität
Lassen wir die etwas mühevolleren Alltagserfahrungen in ähnlicher Weise wie bei den Naturerfahrungen einfach nur auf uns wirken? Nein, nicht wirklich. Wir sind höchst involviert, wir haben etwas zu tun, wir haben eine Aufgabe, wir haben etwas zu erreichen, uns zu schützen, uns durchzusetzen, usw., usw., usw.. Und immer sind wir auf dem Sprung, müssen etwas tun, ‚um zu‘ … . Die Erfahrungen sind für uns nicht einfach nur da, so wie sie sind …. vor allem haben wir nicht in ähnlicher Weise Teil an einem ganzheitlichen, ungeteilten Moment. Nein, wir sind vielmehr hier und die Umwelt mit den auf uns wirkenden Erfahrungen dort. Es herrscht Trennung, Dualität. Und wir sind vermeintlich in der Situation mit dieser anderen Seite umgehen zu müssen, es managen und kontrollieren zu müssen. Ja, und den Kontrolleur schmerzt es, wenn seine hochgehaltenen Regeln nicht erfüllt werden. Wahrlich, eine ganz andere Erfahrung. In der Tat schwimmen wir im allgemeinen nicht wirklich mit im Fluss des Lebens. Sich mitbewegen mit dem Strom? Sich von ihm tragen lassen? Nein, wir stehen im Zentrum! Es geht allzu oft um uns, wir nehmen es höchstpersönlich und fangen an gegen den Strom zu schwimmen und zu strampeln. Wir fangen an mit der ‚Gegenseite‘ zu kämpfen.
Sollten wir es anders machen?
Ich will damit nicht sagen, dass wir furchtbar falsch gewickelt sind und es falsch machen. Es gibt viele gute Gründe, warum wir derart reagieren und uns so verhalten. ‚Die Gesellschaft‘ scheint uns geradezu in diese Verhaltensweisen zu drängen. Ich will also nicht die Botschaft aussenden, dass wir es anders managen müssen, dass wir es auf eine andere Weise kontrollieren müssen. Im Gegenteil, wir erlangen keine Kontrolle indem wir besser und mehr kontrollieren. Es ist die Idee der Kontrolle an sich, die hier wohl fehl am Platz ist.
Kontrolle und Unwägbarkeit des Lebens
Was können wir denn tatsächlich kontrollieren? Was, wenn wir morgen einfach so, versehentlich von einem Auto auf der Straße totgefahren werden? Oder ein plötzlicher Herzinfarkt? Oder wir bekommen unerwartet einen neuen Vorgesetzten, der ganz anders tickt als der alte und mit dem wir nicht zurecht kommen. Die Liste der Unwägbarkeiten des Lebens könnte lang werden … . Wir können versuchen zu kontrollieren und Sicherheit herzustellen, aber letztlich bleibt es eine Illusion. Das Leben ist unwägbar und kennt viele Wendungen. Insofern wäre es wohl mehr angemessen, diese Tatsache anzuerkennen und uns zu üben, mit all den Unwägbarkeiten leben zu können. Gelassenheit entwickeln. Achtsamkeit. Und sicherlich ist es auch nicht die beste Idee, seine eigentlichen tieferen inneren Wünsche und Bedürfnisse, ja seinen Lebenssinn, in einen Plan zu packen, der darauf beruht, erst mal dieses und jenes zu erreichen, um dann von jener Basis aus, den eigentlichen Lebenssinn anzugehen. Können solche Pläne wirklich aufgehen? Andererseits ist es natürlich auch so, dass wir beim direkteren Verfolgen unseres Lebenssinns vom Leben selbst um viele unwägbare Ecken geleitet werden. Keine Kontrolle, weder so, noch so. In Wirklichkeit kommt mit unserem Kontrollwahn Angst in unser Leben, denn, weil die vollständige Kontrolle unmöglich ist, bleibt zumindest Restunsicherheit.
In Verbundenheit mit dem Leben
Was aber, wenn wir wirklich gänzlich akzeptieren könnten, dass wir nicht die Kontrolle haben und das Leben immer weitaus mächtiger ist als wir? Doch bei einer Haltung, bei der wir wirklich mit dem Strom des Lebens fließen, gibt es auch keinen Akzeptierenden mehr. Die Frage ist also nicht ganz richtig. Bei der Akzeptanz, um die es hier geht, handelt es sich vielmehr um eine Hingabe an das Leben, um ein Aufgehen im Leben. Wir werden wieder zum gänzlich verbundenen Mitinhalt des Lebens. Wie beim stillen Dasein in der Natur. Auch dort sind wir verbunden, sind kein Ich, das mit der (Um)Welt ringt und kämpft. Wie relevant ist denn bei diesem stillen Dasein, wer wir als Person in dieser Welt angeblich sind? Solcherart Vorstellungen sind in diesen Momenten schlicht nicht vorhanden. Stattdessen taucht das Ich unter in diesen Momenten.
Eine Sicherheit ohne Kontrolle
Kaum zu fassen, ich habe die größte Sicherheit und Selbstgewissheit in meinem Leben sogar genau in einem solchen Moment erlebt, als das Ich untergetaucht war. In einem Flow-Zustand – vielleicht war es auch eine mystische Erfahrung – konnte „Ich“ einfach mitfließen mit dem Leben. Es gab keine Frage, was ich zu tun hatte, das war gewiss, ergab sich aus dem Moment und wurde einfach unmittelbar getan. In diesem Zustand, den ich in keiner Weise kontrollierte, spürte ich eine überwältigende Sicherheit, ein unbeschreibliches Aufgehobensein. Nein, Sicherheit finden wir wohl nicht durch alle möglichen Kontrollversuche. Eher stimmt das Gegenteil. Dann, wenn wir loslassen können vom Kontrollgedanken, haben wir kein Problem mehr mit dem Gewährleisten unserer Sicherheit. Sicherheit als Ziel und Kontrolle als Mittel spielen dann einfach keine Rolle mehr. Und vielleicht sorgt dann ja das Leben selbst für unsere Sicherheit, schließlich verbinden wir uns wieder ganz mit ihm und seiner Expansionsrichtung.
Die Spaltung einer heilen Welt
Letztlich sind es unsere Bewertungen, Konzepte oder Vorstellungen darüber, wie die Dinge angeblich sind und wie sie von uns zu handhaben sind, die das Tohuwabohu unseres Alltagslebens verursachen. Wenn wir uns damit identifizieren, dann begeben wir uns in eine Aufspaltung des Lebens und in die Dualität. Aus dem ungeteilten Ganzen des Moments, bzw. des Lebens schaffen wir zwei Seiten. Etwas ist das von uns so Definierte, der Rest ist es nicht und bleibt außen vor. Wenn ich etwas als „gut“ bewerte, entsteht mit dieser Bewertung gleichzeitig immer etwas außerhalb davon, das „schlecht“ ist, bzw. zumindest nicht gut. Und üblicherweise favorisieren wir dann das positiv Bewertete, während wir das andere ablehnen. Dieses andere wird dann leicht zu unserem Stachel im Fleisch. Solange wir die Ganzheit des Lebens, bzw. des Moments, aufspalten und uns auf eine Seite davon schlagen, gibt es keine Sicherheit, kein wirkliches Aufgehobensein und kein Gefühl von Verbundenheit. Dann gibt es nur Kampf, Vermeidung, Auseinandersetzung, usw.. Wie anders und heil war doch unsere Welt als wir Kinder waren und einfach nur neugierig auf viele neue Erfahrungen, die wir nicht schon kannten, nicht schon bewertet hatten.
Einen Moment bitte …
In diesem Sinne … einen Moment bitte – Schnitt. Erst mal durchatmen, das Dasein genießen, sich von der Sonne bescheinen lassen und das Leben sein lassen, wie das Leben nun mal ist.
Ich bin selbst auch etwas verunsichert momentan, der Artikel hat mir jedenfalls schon sehr geholfen und mich motiviert mehr Achtsamkeit zu erlernen.
Lg Alisa