Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Achtsamkeit und der Preis des Vermeidens
Wir Menschen möchten gerne sicher sein und keine Erfahrungen machen, die leidvoll sind oder verletzen. Währenddessen träumen wir von Dingen, die für uns erfüllend wären … . Oft berühren diese Dinge unser tiefstes inneres Wesen, das, was uns wirklich ausmacht. Dennoch träumen wir oft nur unser ersehntes Leben und leben nicht unsere Träume. Warum? Eben darum: Wir vermeiden bewusst oder unbewusst das Risiko leidvoller oder verletzender Erfahrungen. Der Weg der Verwirklichung unserer Träume ist nämlich zumeist herausfordernd und schwierig. In der Komfortzone zu bleiben ist dagegen einfach und sicher. Die Komfortzone ist allerdings eine Sackgasse. Sie bedeutet Stillstand und sie hat ihren Preis!
Vermeiden ist unachtsam. Meistens.
In Vorträgen, Einführungskursen in die Achtsamkeitspraxis oder in Workshops zähle ich gerne einige alltägliche Verhaltensweisen auf, die man aus Sicht der Achtsamkeit als Unachtsamkeiten betrachten kann. Zu dieser Liste der Unachtsamkeiten gehört bei mir das Vermeiden. Es ist unachtsam, weil wir ja im Sinne der Achtsamkeit all unseren Erfahrungen annehmend begegnen möchten. Zudem sind unsere oben angesprochenen Träume meist ein Ausdruck unseres wahren Wesens. Sie sind unsere innere Wirklichkeit und beinhalten das Bedürfnis, auch im Außen verwirklicht zu werden. Wenn wir die dazu notwendigen Schritte vermeiden, werden wir dieser Wirklichkeit und unseren Bedürfnissen nicht gerecht. Vermeiden ist also unachtsam, nicht immer, aber meistens.
Keine Überforderung! Achtsames Vermeiden.
Keine Regel ohne Ausnahme. In manchen Lebenssituationen ist das Vermeiden durchaus eine angemessene Verhaltensweise. Wenn wir sowieso schon völlig gestresst und überreizt sind, dann ist das nicht der richtige Zeitpunkt, sich weiteren Herausforderungen, die uns dann überfordern würden, auszusetzen. Dann braucht es erst mal Selbstschutz, es braucht achtsame Selbstfürsorge.
Es gibt auch keinen Zwang, sich ins Zeug zu legen, um gleichsam auf Biegen und Brechen zu verwirklichen, was unserem inneren Wesen entspricht. Im Gegenteil, ein hausgemachter vehementer Druck auf uns selbst würde den Einklang mit uns selbst empfindlich stören. Allzu sehr würden wir uns in solcher Weise vermitteln, dass wir so, wie wir sind, nicht okay sind. Nein, bleiben wir in Balance. Wir sind jederzeit okay, so, wie wir nun mal sind. Wenn wir uns selbst verwirklichen möchten, dann ist es kein Vermeidungsverhalten, sondern schlicht angemessener, das im Sinne einer den eigenen Möglichkeiten entsprechenden sukzessiven Selbstentfaltung anzugehen. Dabei können wir versuchen, mehr und mehr innere Barrieren wegzuräumen und den Weg frei zu machen. Sich fürsorglich und nährend motivieren, statt forcierend und erzwingen wollend auf sich einzuwirken.
Raus aus der Komfortzone!
Wenn wir ehrlich sind, dann ist es meistens nicht so, dass wir wirkliche Überforderungen vor Augen haben, wenn es um den nächsten Schritt hin zur Selbstverwirklichung geht. Tatsächlich scheuen wir allzu oft alle Schwierigkeiten. Auch dann, wenn wir sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bewältigen könnten. Wir hegen und pflegen manchmal lieber unsere Bedenken. Das ist sicherer und komfortabler. Und wir lullen uns gerne mit Ausreden ein: Wenn ich erst gewisse Voraussetzungen geschaffen habe, dann gehe ich es an. Wenn …, dann … . Auf diese Weise läuft die Uhr unserer Lebenszeit und wir tun es wahrscheinlich nie. Und zum Ende unseres Lebens dann: Hätte ich nur … . Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, sagt ein Sprichwort. Ja, wann wollen wir den entscheidenden Schritt tun? Wann wollen wir wirklich leben? Ich gebe gerne zu, dass ich selbst diese Aufschieberitis lange betrieben habe und sie zur Genüge immer noch betreibe. Es ist menschlich, das Angenehme mehr zu lieben als das Unangenehme. Das Leben hat allerdings beide Seiten und im Sinne der Achtsamkeit gilt es, sich das bewusst zu machen und auch die unangenehme Seite anzunehmen. Full catastrophe living! (Deutsch: Die ganze Katastrophe leben – Der englische Titel von Jon Kabat-Zinns Grundlagenwerk zur Achtsamkeitspraxis. Deutscher Titel: „Gesund durch Meditation“).
Eine ganz besondere unbewusste Vermeidungshaltung
Wir merken manchmal nicht, wie wir uns selbst austricksen und wie subtil wir mitunter vermeiden, das authentisch zu leben, was uns entspricht. Ich habe selbst erlebt, wie ich um meine „Berufung“ zu verwirklichen nach dem passendsten Beruf für mich suchte. Doch um was geht es? Passt unsere Berufung denn immer in die Strukturen und Schemata dieser Welt? Tatsächlich geht es doch um den unmittelbaren Selbstausdruck. Dafür müssen wir nicht zwingend zuerst allerlei Berufe erlernen, in denen wir uns vermeintlich am besten ausdrücken können. Wenn wir so verfahren, dann kreieren wir auch hier aufschiebende Bedingungen. Wir sind ja schon, wer wir sind und eigentlich könnten wir es unmittelbar zum Ausdruck bringen. Wir brauchen in aller Regel nicht auf eine Erlaubnis durch erworbene Berufsabschlüsse zu warten. Wie sehr versuchen wir doch immer wieder äußeren Normen zu entsprechen, statt zuerst uns selbst gerecht zu werden!
Vermeiden und sein Preis
Es ist doch so: Nur wenn wir uns mit herausfordernden Erfahrungen auseinander setzen, lernen wir damit umzugehen. Wir lernen nur so, damit zu leben. Noch etwas: Die Auseinandersetzung mit der Herausforderung desensibilisiert uns. Was uns als sehr schwierig und womöglich leidvoll erschien, wird normal und verliert seinen Schrecken. Auf einem Weg jenseits der Komfortzone erleiden wir auch Tiefschläge. Nicht alles gelingt, wir machen „Fehler“. Vermeintlich. Wir müssen jedoch keineswegs in den Kategorien „falsch“ und „richtig“ denken, wenn wir einfach nur versuchen, auf neuem Terrain Herausforderungen bestmöglich zu meistern. Und aus den „Fehlern“ lernen wir. Ein „Wenn …, dann …“, das mit Aufschieben nichts zu tun hat, kann hier hilfreich sein. Wenn wir uns nämlich konkret vornehmen, wie wir in einer bestimmten Situation zukünftig handeln wollen, dann haben wir bessere Chancen, Verhaltensänderungen zu verwirklichen. Das sagt jedenfalls die Wissenschaft. Wenn wir aber schwierigen Dingen allzu schnell aus dem Weg gehen, dann müssen wir auf die sonst möglichen Ergebnisse verzichten. Das ist der Preis, den wir zu zahlen haben, wenn wir uns durch Vermeiden nicht entwickeln. Wir erlangen nicht die Kompetenz mit jenen schwierig erscheinenden Situationen zurecht zu kommen. Stillstand. Wenn wir aus Prüfungsangst nicht zu Prüfungsterminen gehen, dann werden wir den angestrebten Abschluss nicht erhalten. Wenn wir verliebt sind und unser Interesse und unsere Empfindungen nicht irgendwann zu erkennen geben, dann wird es mit der ersehnten Partnerschaft höchstwahrscheinlich nichts. So konkret ist es. Wenn wir die manchmal schwierigen Schritte in Richtung auf unsere Bedürfnisse und Träume nicht gehen, dann zerplatzt unser „wahres Leben“ irgendwann wie eine Seifenblase. Was können wir denn verlieren, wenn wir es versuchen? Es kann schmerzhaft werden, ja. Aber in unserem Entwicklungsstand können wir doch nicht wirklich zurückgeworfen werden. Wir können weitaus mehr gewinnen als verlieren und sei es nur, dass wir aus „Fehlern“ lernen und uns so weiter entwickeln. Und wie sagt man so schön? No risk, no fun!
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