Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Eine achtsame Lösung aller Probleme
Was für mich vermeintlich ein riesiges Problem ist, ist für einen anderen vielleicht die leichteste Übung. Ja, für diesen anderen, ist mein Problem überhaupt nicht existent! Dieser Umstand verrät uns viel über die Beschaffenheit der allermeisten Probleme. Auch unsere deutsche Sprache gibt bezeichnende Hinweise zur Handhabung von Problemen: Probleme werden gelöst oder nicht gelöst. Lösung heißt das Zauberwort. Das Statement dieses Beitrags lautet: Du willst ein Problem lösen? Löse Dich vom Problematisieren. Normalisieren statt problematisieren!
„Houston, wir haben ein Problem“. Was ist ein „Problem“?
„Houston, wir haben ein Problem“ ist zu einer geläufigen Redewendung geworden. Tom Hanks sagt diesen Satz in der Verfilmung der Apollo 13-Odyssee. Den eigentlichen Ausspruch des Apollo 13-Bordkommandanten James Lovell „Houston, wir haben ein Problem gehabt.“ gibt es von der NASA sogar als Klingelton. Aber was ist denn eigentlich ein Problem? Schauen wir bei Wikipedia nach:
Ein Problem (griechisch πρόβλημαpróblema, deutsch‚das Vorgeworfene, das Vorgelegte‘, „das, was [zur Lösung] vorgelegt wurde“), nennt man eine Aufgabe oder Streitfrage, deren Lösung mit Schwierigkeiten verbunden ist. Probleme stellen Hindernisse dar, die überwunden oder umgangen werden müssen, um von einer unbefriedigenden Ausgangssituation in eine befriedigendere Zielsituation zu gelangen.
Der Duden zur Herkunft des Wortes:
lateinisch problema < griechisch próblēma = das Vorgelegte; die gestellte (wissenschaftliche) Aufgabe, Streitfrage, zu: probállein (Aoriststamm problē-) = vorwerfen, hinwerfen; aufwerfen
Man könnte also sagen, dass ein Problem etwas ist, das sich vor uns als Schwierigkeit oder gar als Hindernis aufzutürmen scheint. Wenn wir das Wort Problem verwenden, meinen wir damit, dass wir in etwas eine wirkliche Schwierigkeit sehen. Und was geschieht hier in einem achtsamen Sinn? Wir weisen etwas eine bestimmte Bedeutung zu, wir bewerten oder urteilen. Wenn wir nicht bewerten würden und dem Sachverhalt keine besondere Bedeutung beimessen würden, wäre alles einfach nur, eine weitere Erfahrung, die uns begegnet, etwas, das ist, wie es ist.
Achtsamkeit und „Probleme“, eine kleine Übung …
Machen wir es praktisch begreiflich:
Verweilen Sie einfach mal bewusst in diesem Augenblick ohne zu bewerten. Was ist an Erfahrung da? Einfach nur registrierend wahrnehmen. Keine Bedeutung zuweisen, nicht interpretieren. Einfach mit dem sein, was gerade da ist. Sie brauchen noch nicht mal einen Namen für die Dinge, die Sie wahrnehmen. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit …
In diesem Augenblick, gibt es da irgendein Problem?
Eine achtsame Haltung bei „Problemen“
Klar, Sie sitzen gerade am Rechner oder lesen auf Smartphone oder Tablet. Wirkliche Schwierigkeiten sind jetzt eher nicht in Sicht. Dennoch führt uns diese Übung unmittelbar in eine entspanntere Haltung, es sei denn wir sind sowieso immer achtsam und tiefenentspannt. Haben Sie die Entspannung bemerkt? Die Haltung, mit der wir Erfahrungen begegnen, macht den Unterschied, wenn es darum geht, wie wir damit umgehen (können). Wir können Rumlaufen wie ein aufgeschrecktes Huhn, gackernd und zeternd über die vermeintlich unbefriedigende Situation, dieses „Problem“, das aufgetaucht ist. Wir können starr fixiert sein auf unser „Problem“ und wie eine Fliege an der Fensterscheibe mit dem Kopf durch die Wand wollen. Könnten wir nicht auch stattdessen einen Schritt zurücktreten, inne halten und uns fragen, was denn hier gerade los ist? Wie ist die Lage? Registrieren, was da ist. Ohne zu bewerten! Vielleicht bemerken wir dann, wie es uns mit der Situation gerade geht und finden auch heraus, was wir für uns brauchen. Und vielleicht erkennen wir dann schon Möglichkeiten, die sich uns bieten, um mit der Erfahrung umzugehen. Runter kommen vom Problemhaften zum eigentlichen Wesen der Situation, zu ihrem einfachen Sosein.
Ja, es ist gerade so. Wir wollen es aber anders haben. Es ist vermeintlich eine unbefriedigende Ausgangssituation und wir wollen hin zu einer befriedigenden Zielsituation, wie es Wikipedia formuliert. Am Liebsten wollen wir das Problem los werden oder vielleicht unter den Tisch kehren. Wenn wir achtsam sind, dann wenden wir uns dem gegenwärtigen Moment und der Erfahrung zu, die wir machen. Wir begegnen einer Herausforderung. Und wir bewerten diese Herausforderung nicht. Wir müssen noch nicht einmal von Herausforderung sprechen, denn eigentlich ist auch das schon eine Wertung. Wenn wir uns dem Gegenwärtigen wertfrei stellen, nehmen wir den meisten „Problemen“ ihre Spitze. Und wir erweitern sofort auch unseren Horizont, weil wir aus unserer Selbsthypnose des Problematisierens heraustreten und uns öffnen für Aspekte, die wir durch die hypnotische Brille nicht erkennen würden. Lösungsansätze können aufscheinen, weil wir uns vom „Problem“ lösen. Es ist einfach etwas, das da ist und mit dem wir umgehen, wie wir gerade eben damit umgehen können.
Erwartungen loslassen
Das heißt auch, dass wir Erwartungen an eine Problemlösung loslassen. Vielleicht schaffen wir in einem ersten Schritt nur eine kleine Lösung. Wer sagt, dass wir im ersten Schritt den ganzen Berg bewältigen müssen? Warum nicht Besenstrich für Besenstrich wie Beppo der Straßenkehrer in Miachael Endes „Momo“? Dinge, die uns begegnen, können wir auch dadurch zu monströsen Problemen machen, dass wir riesige Anforderungen an eine Lösung kreieren. Warum nicht erst eine Teillösung? Ich vergleiche das gerne mit einem Lehrling. Der Lehrling steht dann und wann zum ersten Mal vor einer bestimmten Anforderung. Dann tut er das, was er gerade mal kann, er wendet das Gelernte an und tut sein Möglichstes. Sollte man von ihm verlangen, dass er die Perfektion seines Meisters an den Tag legt? Hier geht es um Realismus. Achtsamkeit lehrt uns, realistisch zu sein, indem sie die Wirklichkeit ins Auge fasst. Eine sogenannte Herausforderung können wir einfach auch als Möglichkeit sehen, einen Schritt zu machen, zu lernen und zu wachsen. Eine Herausforderung mit allerlei Wertungen, Vorstellungen und Erwartungen zu überziehen ist irreal und kreiert das sogenannte Problem. Herausforderungen entwickeln uns! Wir lernen an „Problemen“ und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wir machen Schritte, keine Sprünge.
Normalisieren statt problematisieren
Normalisieren, was uns widerfährt, statt es zu problematisieren. Was uns widerfährt, kommt nicht von ungefähr in unsere Welt. Es hat seine Entstehungsgeschichte. Es ist auf eine normale Art und Weise zu dem geworden, was es ist. Und deshalb ist es normal! Wenn wir von einem „Problem“ sprechen, haben wir schon eine Oppositionshaltung eingenommen. Überspitzt formuliert hat das „Problem“ aus unserer Sicht keine Existenzberechtigung in unserer Welt. Verständlich, dass da mancher schnell in den Kampfmodus verfällt, der nächste läuft lieber gleich panisch weg und ein anderer verfällt in eine Art Schockstarre. Wir machen es uns gewiss leichter, wenn wir die aufgetretene Herausforderung als etwas Normales ansehen.
Aber. Selbstfürsorge nicht vergessen!
Und jetzt kommt ein „Aber“. Aber, etwas Normales, das wir als schwierig empfinden, kann im Moment durchaus eine Überforderung sein. Wir müssen uns nicht allem aussetzen. Selbstfürsorge! Ohne einfach nur reflexartig davon zu rennen, können wir auch achtsam und bewusst zu der Einsicht kommen, dass es die beste Lösung für uns ist die Situation zu verlassen. Wenn etwa unsere Arbeitsumstände tatsächlich sehr belastend geworden sind und keine Aussicht auf Besserung besteht, dann liegt es ja nicht daran, dass wir die Situation durch Problematisieren aufbauschen. Statt uns im Problem hin und her zu winden, können wir erkennen, dass schlicht zu viel ist, was zu viel ist. Achtsame Selbstfürsorge kann dann nahe legen, dass wir eine solche Situation einfach auch mal verlassen.
Gefesselt vom „Problem“
Bei den allermeisten „Problemen“ geht es nicht darum, zu erkennen, dass uns etwas überfordert. Sie entspringen zweifelsohne einem dramatisierenden Bewerten der Erfahrungen, die uns begegnen. Wenn wir sie als etwas Normales ansehen, dann sind sie allenfalls Herausforderungen, keinesfalls aber Überforderungen. Bei diesem dramatisierenden Bewerten gehen Sachlichkeit und Neutralität über Bord. Dabei nehme ICH das „Problem“ persönlich. Im Moment sein mit alledem, was da ist, ist im Kern unpersönlich. Wir sind verbunden mit allem, was an Erfahrung auftaucht. Beim Problematisieren trete ICH mit meinen ganzen Vorstellungen über meine eigene Welt in Beziehung zu einer Schwierigkeit, die es gemäß meinem Weltbild nicht geben sollte. Dualität und Opposition pur. Das „Problem“ ist quasi ein Angriff auf „mich“. Was, wenn wir diese Ichhaftigkeit draußen lassen könnten? Und plötzlich wäre alles einfach nur so, wie es ist. In friedlicher Koexistenz. Das ICH ist der Besitzer all der Bewertungen, Erwartungen, Vorstellungen … . Es definiert sich über all das. Und es besitzt auch das „Problem“. Seine Abgrenzung und Wertung erschafft es. Das ICH kann nicht ohne ein Problem und umgekehrt ebenso. Das ICH bindet sich von Natur aus an „sein“ Problem. Durch seine Abgrenzung gegenüber dem „Problem“ wird es das „Problem“ nicht los, sondern fesselt sich geradezu damit.
Die Lösung aller „Probleme“
Was wir nicht zwanghaft festhalten durch „Problematisieren“, kann seinen natürlichen Gang des Vergehens gehen. Aufhören zu problematisieren, ist loslassen. Lösen. Kann sein, dass das „Problem“ die Bedeutung verliert und schlicht irrelevant wird, kann sein, dass wir im Loslassen plötzlich über unseren Tellerrand schauen können und wissen, wie wir gut mit der Herausforderung umgehen können. Die Lösung aller „Probleme“ gelingt durch ein Realisieren, wie unsere Situation tatsächlich ist. Vielleicht beinhaltet das die Erkenntnis, dass wir eine Situation verlassen müssen. In den allermeisten Fällen ist der wichtigste Schritt zur Lösung, das Unterlassen des Bewertens, das Fallenlassen von Vorstellungen, wie es sein sollte (ohne Problem) und die Akzeptanz, dass es so ist, wie es ist. Im Besten Fall ist diese Akzeptanz eine bloße Realisierung, wie es ist, ohne jemanden, der akzeptieren müsste. Es ist doch schon so, meine Erlaubnis dazu braucht es nicht!
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