Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Was lehrt der „Flow“?
Im vorausgegangenen Beitrag „Achtsamkeit in Vollendung: Der Flow“ habe ich den Flow als einen vollendet achtsamen Seinszustand eingestuft. Auch wenn wir in der Achtsamkeitspraxis keine Zustände anstreben, so steht doch außer Frage, dass jeder, der den „Flow“ einmal erlebt hat, diesen Zustand liebt. Und natürlich sehnen wir uns danach, diesen Zustand wieder und wieder zu erfahren. Warum? Der Flow ist auch ein Glückszustand und wir alle wünschen uns, glücklich zu sein. Und deshalb ist es natürlich eine interessante Frage, warum wir gerade im Flow so viel Erfüllung finden. Die Frage dahinter: Was kann uns das Gefühl eines erfüllten Lebens bescheren? Was also lehrt uns der Flow?
Achtsamkeit kann den Boden für den Flow bereiten
Achtsamkeit ist eine sehr gute Basis für Flow-Zustände. Das lehren mich nicht allein meine beiden eigenen sehr intensiven Flow-Erfahrungen. Beide Male standen die Erfahrungen in Zusammenhang mit vorausgegangener intensiver Achtsamkeit. Achtsamkeit ist die halbe Miete, weil der Flow selbst ein achtsamer Zustand ist: Wir sind ganz bei uns, gehen in unserem Tun auf. Wir sind ganz in diesem einen Moment.
Ein erster großer Flow
Meine erste ausgeprägte Flow-Erfahrung geschah nach einem Vipassana-Schweigeretreat: 7 Tage intensive Übung von Achtsamkeit, von morgens früh bis spätabends. Wieder zuhause, versuchte ich die Achtsamkeit weiter von morgens bis abends aufrecht zu erhalten. Aber mir war klar, dass das mit einem „Ich will achtsam sein“ nicht gelingen würde. Allzu oft versuchen wir auch mit der Achtsamkeitspraxis, etwas zu erreichen. Unser „Ich“ müht sich, für sich, etwas zu erreichen. Das führt zu einer Stärkung der Ichhaftigkeit, macht die Achtsamkeitspraxis zu einem zwanghaften Unternehmen und verhindert, dass wir einfach nur offen sind, für das, was gerade ist. Wirkliche, natürliche Achtsamkeit ist SEIN, einfaches sein. Ich konnte mir das damals in Erinnerung rufen und mir bewusst machen, dass Achtsamkeit nirgendwo hin führt außer zu dem, was schon da ist. Achtsamkeit führt zu mir. Da wir schon sind, gibt es in Wirklichkeit nichts zu tun, um wir selbst zu sein. Dieses Bewusstsein brachte mich schließlich ganz in den Moment und in Berührung mit mir und dem Leben. Von da an übernahm der Flow. Die Ichhaftigkeit war weg, kein „Ich“, das Kontrolle haben musste. Alles lief von allein, es war absolut klar, was als nächstes zu tun war. Bewusstsein und Handlung waren eins.
Der Flow beim Arzt
Ein Rückenschaden hatte mich zu dieser Zeit arbeitsunfähig gemacht und ich hatte einen Arzttermin. Ich sah mich gezwungen, mir wieder und wieder eine „Krankschreibung“ zu holen. „Krank“ – mein subjektives Empfinden signalisierte eigentlich etwas anderes, weswegen mir diese, wegen meiner Berufsunfähigkeit unerlässliche, Prozedur damals sehr unangenehm war. Im Flow war das total anders! Ich ging geradezu beschwingt in die Praxis, und es kam mir vor, wie wenn eine Art Welle der Ausstrahlung um mich herum war. Alles ging in der Praxis zwischen mir, den MTA‘s und meinem Arzt einfach Hand in Hand und mühelos vonstatten. Ich fühlte mich hervorragend.
Einen Lauf haben im Fitnesstudio
Wie bemerkenswert dieser Zustand war, zeigte sich dann auch im Fitnessstudio. Auf dem Laufband lief ich wie ein junges Reh. Rhythmisch, „rund“, absolut anstrengungslos! Ich musste das Laufen nicht irgendwie arbeiten, sondern Laufen geschah. Wie von selbst und ohne eine Belastung der Muskulatur zu verspüren. Dasselbe auf dem Crosstrainer. Ich strotzte förmlich vor Leistungsfähigkeit. So hätte ich sicher noch Stunden weiter trainieren können. Mir fiel dabei auch auf, dass ich mich mit allem im Studio verbunden fühlte. Ich war nicht „Ich“, der im Fitnessstudio trainierte, Training geschah und das ganze Studio geschah in Verbundenheit mit mir. Keine Trennung. Mir fehlen die Worte, es treffend zu beschreiben.
Hingabe und Sicherheit
Ich könnte noch weitere Details aus diesem Erlebnis erzählen, möchte es aber bei diesen Schilderungen belassen. Jedenfalls war es ein sehr erfüllendes Dasein. An irgendeinem Punkt meines Erlebens wurde auch überdeutlich, wie sicher ich mich in diesem Zustand fühlte. Es gab nur diesen einen Moment, in dem ich mich befand.(Tatsächlich ist es ja so!). Verankert im Moment, verschwendete ich keine Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft. Keine Geschichte, alles fiel gleichsam in diesem Moment zusammen. Und da war das Gefühl, dass alles irgendwie völlig in Ordnung ist, alles an seinen Platz fällt. Es war ein Empfinden, als könne mir nie irgendwas etwas anhaben. Absolute unumstößliche Sicherheit. Tatsächlich aber befand „Ich“ mich ja in einer Art Ichlosigkeit, hingegeben an das, was irgendwie von alleine geschah. Das Erstaunliche dabei ist, dass Hingabe ja eigentlich ein totaler Kontrollverlust ist. Außerordentliches Sicherheitsempfinden während eines tatsächlichen Kontrollverlustes? Ein erstaunliches Paradoxon!
Achtsamkeit und Flow
Flow ist Achtsamkeit in Vollendung, Achtsamkeit, die auf eine natürliche Weise in Erscheinung tritt. Ich kam, wie ich glaube, in den geschilderten Flow, weil ich zum einen schon sehr achtsam unterwegs war und weil ich zum anderen die tiefe Einsicht wachrufen konnte, dass SEIN sich selbst genug ist. Ich wusste, dass ich nichts tun musste, um irgendwo hin zu kommen. Eine allgemeine Beschäftigung mit Achtsamkeit kam dazu. Und natürlich ist Achtsamkeit für mich eine Herzensangelegenheit, und insofern eine Beschäftigung, die ich liebe.
Die Essenz des Flow
Ein Merkmal des Flow ist, dass wir hingebungsvoll fokussiert sind auf das, was wir tun. Flow geschieht dort, wo wir uns ganz hineingeben können, so sehr sogar, dass wir uns selbst vergessen (Ichlosigkeit). Das geschieht in der Regel bei Dingen, die wir lieben. Wir werden keinen Flow erleben, während wir Dinge tun, die wir eigentlich nicht tun wollen. Zu tun, was wir lieben, ist also ein Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Die Befriedigung, die wir im Selbstausdruck erfahren, darum geht es hier. Und: Zu sein, wer wir sind, macht uns wach für die volle präsente Lebendigkeit.
Was wir lieben, ist für uns immer wieder frisch, anregend und inspirierend. Insofern hängt der erste Punkt schon mit dem folgenden zweiten zusammen: Flow geschieht nicht in der Unterforderung, nicht in der Überforderung, aber in der Herausforderung! Es ist ein Reiz da, der zum Wegbereiter des Flow wird. Wir sind motiviert, unser Bestes zuwege zu bringen. Und: Wir haben das Gefühl, dass wir tatsächlich die Kompetenz haben, der Aufgabe gerecht zu werden.
Der dritte wichtige Punkt hängt ebenfalls schon mit dem ersten zusammen. Der Flow ist selbstbelohnend. Wir tun etwas, das wir lieben. Das ist Erfüllung und Belohnung genug! Unser Handeln zielt eben nicht darauf ab, am Ende der Handlung einen Gewinn einzustreichen. Unsere Handlung ist selbst schon Gewinn. Darüber vergessen wir ohne weiteres eine eventuell erzielbare finale Vergütung.
Alles andere, was ein Flow mit sich bringt, sehe ich als eine automatische Zugabe. Sie resultiert letztlich aus den drei genannten, für mich wesentlichen Bausteinen des Flow. Zugaben sind: Das Zusammenfallen von Bewusstsein und Handlung – Klarheit, was zu tun ist – Die Zeitlosigkeit der Gegenwärtigkeit – Gelassenheit, Kontrollgefühl, Sicherheit, Sorglosigkeit.
Was lehrt der Flow?
Der Flow offenbart uns, wie ein vollendet achtsamer Zustand ist. Er lehrt, dass das zu tun, was wir lieben, ein Türöffner ist, nicht nur zu diesem grandiosen achtsamen Erlebnis namens Flow, sondern zu einem erfüllten Leben im allgemeinen. Und zu tun, was wir lieben, ist, zu sein, wer wir sind. Mehr noch: Der Flow offenbart, wie sehr selbstbelohnend es ist, das zu leben, was wir sind.
Mein persönliches Flow-Erlebnis zeigt noch etwas: Achtsamkeit selbst ist ein Türöffner für den Flow! Ich war damals einfach besonders achtsam, ohne jedoch auf eine ganz bestimmte Handlung fokussiert zu sein, was ja eigentlich eine Flow-Voraussetzung wäre.
Zu tun, was man liebt, ist nicht für jeden so einfach möglich. „Das Leben ist kein Wunschkonzert“ mögen wir einwenden. Das stimmt – und doch ist dieser Einwand bezeichnend, denn er unterstreicht, wie vielfach wir davon abgekommen sind oder davon abgehalten werden, wir selbst zu sein. Oh ja, da ist all dieses vermeintliche Müssen und Sollen … Ich hoffe, das ist nicht der Weisheit letzter Schluß.
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