Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Das Gift schwieriger Gefühle
– Entgiftungsmittel Achtsamkeit –
Gefühle sind grenzenlos wie das Universum. Schwierige Gefühle können uns ganz einnehmen und uns regelrecht vergiften. Wie Kommt das? Wie entstehen diese schwierigen Gefühle überhaupt? Darum geht es in diesem Beitrag und natürlich auch darum, wie es für uns leichter werden kann. Dann nämlich, wenn wir gewissermaßen zur Besinnung kommen.
Wie Gefühle uns einnehmen
Manchmal benehmen sich Menschen im Straßenverkehr ziemlich rüpelhaft. Glauben Sie das liegt dann daran, dass jemand anderes sich im Straßenverkehr ihnen gegenüber nicht regelgerecht verhalten hat? Sie wurden gereizt und reagieren nun aggressiv und rüpelhaft? Meistens ist das eher nicht die Ursache, oder? Was hier geschieht, ist viel eher eine Übertragung von Gefühlen aus dem zwischenmenschlichen „Verkehr“ oder aus bestimmten Lebensbedingungen in den Straßenverkehr. Hat da einer Ärger gehabt? Wütend auf jemanden oder irgendetwas? Oder vielleicht einfach nur Stress, weil man in Zeitdruck ist und einem dann auch noch im Straßenverkehr welche in die Quere kommen? Ich denke, das Beispiel Straßenverkehr illustriert ganz gut, wie Gefühle, die mit spezifischen Konstellationen zusammenhängen, sich ausbreiten, grenzenlos „auf Alles“, sprich auf den ganzen Menschen. Eine Art Vergiftung.
Kontrollverlust und eine Sekunde Bewusstheit
Gefühle reißen uns manchmal regelrecht mit sich. Kontrollverlust. Wenn wir Kontrolle hätten, dann wären sie erst gar nicht da, oder? Keine Lust auf schwierige Gefühle. Nein, erst gar nicht aufkommen lassen, wäre die Devise. Dass wir uns oft nicht wirklich darüber bewusst sind, wie diese Gefühle entstehen und wie wir gerade damit umgehen, ist typisch. Eine Sekunde Bewusstheit darüber würde in der Tat die Luft raus lassen und uns der Ebene des unbewussten automatisierten Ausagierens entheben. Wir bekämen einen übergeordneten Standpunkt und die Macht der schwierigen Gefühle wäre gebrochen, zumindest kurzzeitig. Damit das geschehen kann müssen wir freilich die Gewohnheit entwickeln immer wieder wertfrei zu beobachten, was wir so treiben. Und wir müssen unser Treiben hinterfragen. Achtsamkeit ist also gefragt.
Zugang finden. Wie schwierige Gefühle entstehen.
Um zu verstehen, wie uns schwierige Gefühle vergiften können und wie wir das überwinden können, ist es nötig dieses Thema grundsätzlicher und tiefgründiger zu durchdringen. Die Achtsamkeit wie sie oben als Lösung angedeutet ist, ist uns manchmal so nicht ohne weiteres zugänglich. Vor allen Dingen fallen wir trotz achtsamer Momente leicht wieder zurück in das gewohnte Verhaltensmuster. Also gehen wir es etwas grundsätzlicher an:
Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen wir mit „unseren“ Erfahrungen umgehen. Die Geschichte der schwierigen Gefühle beginnt auf einer übergeordneten, grundsätzlichen Ebene. Dort stufen wir bestimmte Umstände, die wir erfahren, als schwierig und unerwünscht ein. Wie bei einem Computerprogramm im Controlpanel nehmen wir Einstellungen vor, darüber, was uns angenehm ist und was uns unangenehm ist. Infolgedessen sind für uns dann ganz bestimmte Lebensumstände unerwünscht. Wenn sie auftreten, geht es uns zwangsläufig nicht gut damit, denn wir haben sie ja bereits per Einstellung als ein Problem definiert. Treffen jene missliebigen Umstände ein, dann taucht umgehend ein schwieriges Gefühl auf. Es ist ein Ausdruck der schwierigen Beziehung zu den Umständen, die wir nicht wollen. Bei diesem emotionalen Effekt der Umstände angekommen, fokussieren wir uns auf das schwierige Gefühl, das wir so wenig wollen wie die auslösenden Umstände. Es fühlt sich schließlich überaus schlecht an. An dieser Stelle sind wir derweil auf einer nachgeordneten Ebene und ringen nun dort mit dem verursachten Gefühl. Unsere jetzige Bedingung ist: Da ist dieses schwierige Gefühl und wir wollen es los haben. Was geschieht, ist also ein Wechsel der Ebenen. Und doch bleibt die Konstellation im Grunde gleich: Das, was da ist, wollen wir so nicht. Immer wieder erheben wir bestimmte Einstellungen und Konzepte zum Maß unserer Erfahrungen. Welche Ebene auch immer, es ist immer diesselbe Konstellation. Und was tun wir dann? Wir versuchen in unserer einstellungsbedingten Falle mit dem schwierigen Gefühl umzugehen. Umgehen heißt erst mal: Wir wollen es los werden! Und eine Falle ist es deshalb, weil wir die Voraussetzungen, nämlich unsere anfänglichen Grundeinstellungen nicht hinterfragen, sondern uns auf sie als gegebene Umstände einlassen.
Die emotionale Vergiftung
Wir können das Ganze sogar noch grundsätzlicher betrachten. Wenn wir von einem schwierigen Gefühl sprechen, reden wir von „mein Gefühl“. Wenn wir von schwierigen Lebensumständen sprechen, reden wir von „meine Lebensumstände“. Das ist der Punkt an dem das Gift in den Kreislauf unseres Daseins strömt: Die Inbesitznahme des schwierigen Gefühls oder der Umstände. Wir nehmen es mal wieder persönlich. In diesem Sinne bin „ich“ dann eben „mein Gefühl“. Es findet eine Ich-Identifizierung statt, die Identifizierung des ganzen Menschen mit dem Gefühl oder Umstand. Darin liegt die Vergiftung. In der Achtsamkeitspraxis werden wir nicht umsonst angehalten, das Wahrgenommene eben nicht in Besitz zu nehmen, sondern eher zu sagen: Da ist ein Gefühl.
Dagegen ist dafür!
Was im Umgang mit schwierigen Gefühlen und Umständen nicht hilfreich ist, ist das Ankämpfen dagegen, das Loswerden-Wollen oder das Verdrängen. Ich möchte diesen Punkt hier nicht vertiefen und verweise deshalb auf meinen Beitrag „Dagegen ist dafür“ in dem ich den entsprechenden Hintergrund schon einmal beleuchtet habe. Obendrein empfiehlt sich freilich ein Bewältigungsweg, bei dem wir nicht in der Falle falscher Grundeinstellungen (vgl. Computerprogramm) verbleiben. Lösen wir uns davon indem wir erkennen, welche Bedingungen gewisse vorgeordnete Einstellungen und Konzepte spielen.
Bedingtheit und Unvermeidlichkeit schwieriger Gefühle
Zum achtsamen Wahrnehmen gewisser Bedingtheiten und zum achtsamen Bewältigen schwieriger Gefühle ist freilich noch mehr zu sagen. Begeben wir uns einmal auf die Ebene missliebiger Lebensumstände mit daraus resultierenden schwierigen Gefühlen. Das schwierige Gefühl wird hier durch die schwierigen Lebensumstände getriggert. Da ist kaum ein Entrinnen. Nochmals, weil die Umstände per Definition schwierig sind, kommt es zu unangenehmen schwierigen Gefühlen. Und genau dieses Verständnis kann schon eine Erleichterung für uns sein! Die schwierigen Gefühle sind ja gleichsam eine logische Konsequenz aus den Umständen und es ist demnach absolut „verzeihlich“, dass diese Gefühle uns erfassen. Ja, mit dieser Sicht können wir eine gewisse Distanz zu den schwierigen Gefühlen schaffen. Sie sind zwangsläufig da, ohne dass wir eine erkennbare Schuld tragen. Insofern müssen wird doch nicht von „mein Gefühl“ sprechen und uns damit identifizieren, bzw. uns damit vergiften, oder?
Sackgassen schwieriger Gefühle
Es geht noch etwas konkreter und beispielhafter. Angenommen wir sind in einer schwierigen und verfahrenen beruflichen Situation oder wir sind in einer schwierigen und verfahrenen partnerschaftlichen Situation. Klar, dann fühlt sich das nicht gut an, eben schwierig. Und es ist nicht so einfach einer solchen Konstellation zu entkommen. Ich denke, die partnerschaftliche Situation lässt sich oft leichter lösen als die berufliche Situation. Wir können uns vom Partner trennen. Für Ehepaare sicher schwieriger, weil vieles dran hängt. Den Beruf können wir aber vielleicht noch seltener einfach mal wechseln. Da geht es in gewisser Weise oftmals um unsere Existenz und es gibt oft kaum alternative Optionen, wenn überhaupt. Und Arbeitslosigkeit, zu wenig Arbeitslosengeld, Druck von der Agentur … Wer möchte sich das zumuten? Klar, wenn ich im Beruf gemobbt werde, dann nehme ich das vielleicht sogar in Kauf. Nehmen wir eine noch schwierigere berufliche Situation: Berufsunfähigkeit. Durch Krankheit in der Sackgasse. Was ich damit sagen möchte, aus manchen Umständen kommen wir nicht so einfach raus. Dann ist es hilfreich, wenn wir uns nicht auch noch mit den schwierigen Gefühlen identifizieren und vor lauter Fokussierung davon ganz eingenommen sind. Die schwierigen Gefühle sind einfach nur eine geradezu unvermeidliche Folge der Umstände.
Wandel ist unumgänglich
Schön und gut. Aber sind das nun schon alle Effekte, die uns eine achtsame Sicht auf schwierige Gefühle und ein achtsamer Umgang damit beschert? Klar, die Nicht-Identifikation macht es uns möglicherweise leichter. Aber „leichter“ ist ja vielleicht nicht leicht genug für uns. Tatsächlich ist der Effekt der Nicht-Identifikation größer als wir annehmen mögen. Es wird dadurch erst möglich, einfach achtsam wahrzunehmen, was an Erfahrungen auftaucht. Etwas Entscheidendes wird hier bewirkt: Wenn wir uns nicht identifizieren oder dagegen ankämpfen, dann halten wir nicht daran fest. Was von alleine auftaucht, wird den Weg des sich stetig wandelnden Lebens gehen und auch wieder von alleine verschwinden.
Wie in der Bergmeditation
Außerdem: Nicht auf schwierige Gefühle fokussieren! Frage Dich, ob es nicht auch andere Gefühle in Dir gibt, eben nicht nur schwierige. Jetzt oder in der Vergangenheit finden sich nicht nur schwierige Gefühle. Ja, in mir zeigt sich viel mehr! Überhaupt: Ich bin nicht meine Gefühle und sie sagen nicht wirklich etwas über mich aus. Mit dieser Sichtweise bleibt ein schwieriges Gefühl klein und vergällt nicht das ganze Leben. Keine Vergiftung. Aus der Achtsamkeitspraxis passt dazu gut das Bild der Bergmeditation. Wind und Wetter wirken auf den Berg ein. Jahreszeiten kommen und gehen. Den Berg ficht das nicht an, er ruht in sich, denn er hat letztlich nichts mit all dem Wind und Wetter zu tun. Es sind unvermeidliche natürliche Erscheinungen. Es kommt Sonnenschein, es kommt Regen. Bei Sonnenschein sind die Meisten gemeinhin positiver gestimmt als bei Regen. Normal, so what? Ich bin nicht der Sonnenschein, nicht der Regen und auch nicht ganz normal auftauchende Gefühle.
Ausgetrickst. Eine Strategie und ihre Tücken.
Noch etwas: Wenn wir all das wissen, dass es hilfreich ist, schwierige Gefühle nicht in Besitz zu nehmen, nicht dagegen zu kämpfen, nicht so sehr darauf zu fokussieren und wenn wir wissen, dass mit dem natürlichen Wandel des Lebens alles vergeht, wenn nicht wir selbst es festhalten …. dann machen wir manchmal eine Strategie daraus. Wir erheben unsere Sichtweise zu einer Problemlösungsstrategie hinter der ganz subtil dieser eine Gedanke steht: „Ich will es los werden“. Los werden wollen, sei es noch so subtil, ist aber nichts anderes als Festhalten. Und damit haben wir uns dann selbst ausgetrickst.
Reset: Einstellungen zurücksetzen
Zu guter Letzt noch mal dies: Ja, wir können uns von den Umständen, denen wir ausgesetzt sind, manchmal innerlich etwas freier machen. Vielleicht können wir sehen, dass wir bestimmte Programmeinstellungen vorgenommen haben, nach denen diese Umstände vermeintlich nicht sein dürfen. Und so können wir diese Einstellungen womöglich loslassen, gewissermaßen zurück setzen. Loslassen gelingt indem wir grundsätzlich all dem keine besondere Bedeutung geben. Das Leben ist, wie es ist, vielfältig, vielschichtig. Alles nur normal! Zur Besinnung kommen. Akzeptanz ist übrigens manchmal leichter, wenn wir auch die für uns guten Seiten an den vermeintlich widrigen Umständen sehen können. Was bewirken oder ermöglichen sie? Vielleicht können wir aus sauren Zitronen Limonade machen.
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