Man muss es einfach sein!
„Man muss es einfach sein!“ ist der Sinnspruch meines Lebens. Er wird für mich immer mehr zu einem Lebensmotto. Wenn es eine Kernbotschaft meines Lebens gibt, so liegt sie in diesem Satz. Es ist kein Satz, den ich mir ausgedacht habe oder bewusst formuliert habe. Er kam nicht von ungefähr, sondern war die Antwort auf eine dringende Frage, die in einer mystischen Erfahrung in mir aufkam. Dieser mystische Satz scheint auf den ersten Blick banal daher zu kommen. Er hat sich für mich in den vier zurückliegenden Lebensjahrzehnten jedoch als bemerkenswert vielschichtig und tiefgründig erwiesen. „Man muss es einfach sein!“ ähnelt einem Zitat, das dem Buddha zugeschrieben wird und das ich in englischer Sprache seit etwa 15 Jahren jeden Tag als Motto einer Postkarte vor mir auf meinem Tisch sehe: „There is no way to happiness, happiness is the way“. Umformuliert könnte mein mystischer Satz so gesehen auch heißen „Es gibt keinen Weg zu sich selbst. Ich selbst sein ist der Weg.“
Sein, wer wir wirklich sind
Dies ist vermutlich mein bislang persönlichster Blogbeitrag. Er umreißt, was mir wichtig ist und wovon ich in diesem Blog schreibe. „Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund.“, sagt ein Bibelvers (Lukas 6,45), den man auch als Sprichwort kennt. Wer mehrere meiner Blogbeiträge liest, wird denn auch auf den roten Faden stoßen, der sich in vielem durchzieht: Sein, wer wir als Person wirklich sind. Dieses, mein Lebensthema, taucht in meinen Blogbeiträgen immer wieder auf, weswegen ich an dieser Stelle etwas näher auf dieses Thema eingehen möchte. Mein Thema passt zudem in diese Zeit. Es hat gerade Konjunktur. Viele Menschen scheinen auf einem Weg der Selbstfindung zu sein. Es sind nicht zuletzt die heutigen gesellschaftlichen Umstände, die zunehmend Sinnfragen aufwerfen. Wer bin ich denn selbst? Was sollte ich wirklich tun in diesem Leben? Allein drei Bücher von John Strelecky, die sich um solche Fragen drehen, finden sich derzeit unter den Top Ten der Spiegel-Taschenbuch-Bestsellerliste, allen voran auf Platz 1: „Das Café am Rande der Welt“. Es ist also offensichtlich, dass das Thema heute viele Menschen umtreibt. Mich selbst beschäftigt seit vier Jahrzehnten nichts mehr als genau dieses Thema. Wie gelingt es, ganz der zu sein, der ich als diese Person wirklich bin? Selbstverwirklichung.
Selbstentfaltung des Wesens
Einst habe ich in der besagten „mystischen Erfahrung“, aus der „Man muss es einfach sein!“ stammt, auch eine Vision von meiner Zukunft bekommen. Darin ging es darum, ein tieferes Wissen oder Verständnis des Lebens an andere Menschen weiter zu geben. Inzwischen, nach einem entscheidenden Umbruch in meinem Leben, fühle ich mich als Achtsamkeitslehrer im Sinne der besagten Vision auf einem guten Weg. Wer nun glaubt, ich hätte halt eine Vision bekommen und dadurch automatisch gewusst, wo es für mich lang geht, täuscht sich in mir. In Wirklichkeit war ich immer ein ungläubiger Thomas, der Beweise einfordert und der beruflich dementsprechend allzu lange auf Nummer sicher gegangen ist und alles so angegangen ist, wie man es angeblich macht. Als ungläubiger Thomas hinterfrage ich sehr sehr viel. Also habe ich meine Vision über Jahre geprüft. Kann ich dem trauen? Ich habe also versucht, bis ins Detail zu erfassen, wer ich als Person wirklich bin, was mich ausmacht. Das hat mir letztlich nicht nur Sicherheit gegeben, sondern hat auch dazu geführt, zu verstehen, wie man sein persönliches Wesen ergründen kann, und zwar sehr genau. In dieser Hinsicht werde ich zukünftig Beratungen anbieten. Derzeit kreiere ich einen Workshop „Man muss es einfach sein“. Herauszufinden, was unser Wesen ist, ist dabei die leichte Übung. Das dann zu verwirklichen, also ganz ins Leben zu bringen, ist die wahre Herausforderung. Die Quintessenz dabei ist: Wir sind schon, wer wir sind. Es geht nicht darum, etwas zu erschaffen, sondern, was wir schon sind, zu entfalten. So wie wir eine DNA haben, aus der sich nicht nur unsere körperliche Beschaffenheit entfaltet, haben wir gleichsam eine Wesens-DNA, die sich ins Leben entfalten will. Es kann sich alles jedoch nur so entfalten, wie es tatsächlich angelegt ist. Bei dieser Selbstentfaltung geht es vornehmlich um ein Zulassen. Unsere Wesens-DNA kann obendrein je nach Beschaffenheit in unserer heutigen Welt auf viele Widerstände treffen, braucht aber eigentlich nährende Entfaltungsbedingungen, um zur vollen Blüte gelangen zu können. Oh ja, ich kann ein leidvolles Lied davon singen. Tatsächlich ist es wie bei einer Pflanze. Nicht an jedem Standort und auf jedem Boden kann sie sich durchsetzen und voll entfalten. Noch suche ich selbst nach dem ganzen Verständnis für den magischen Dreh, der unsere Selbstverwirklichung erleichtern kann. Im Blogbeitrag „Persönlichkeit. Jenseits der Selbstoptimierung“ habe ich meine Sichtweise, dass eine sinnvolle Persönlichkeitsentwicklung nur eine Art Selbstentfaltung sein kann, schon einmal thematisiert. Und in „Achtsamkeit gegenüber uns selbst: Einzig oder artig“ geht es um Aspekte dieser Selbstentfaltung.
Der „Zweck der Existenz“. Bestimmung?
John Strelecky („Das Café am Rande der Welt“ u. a. Bücher) spricht von einem „Zweck der Existenz“ (ZDE), den wir alle haben, den wir leben sollten und der uns Erfüllung bringen kann. Bei Strelecky klingt das sehr nach Bestimmung und es ist wohl auch so gemeint. So wie ich durch Erfahrung gelernt habe, das Leben zu verstehen, handelt es sich bei unserem Wesen eher um einen Selbstzweck, keine sinnhafte Bestimmung in einem großen Ganzen. Das schließt übrigens nicht aus, dass sich die Dinge auf eine wundersame Weise von alleine fügen können. Die Idee von der Bestimmung indes führt nach meiner Erfahrung allzu leicht in ein sinnloses Bemühen. Wir schreiben uns die vermeintlich erkannte Bestimmung gerne auf unsere Fahnen und versuchen das dann zu werden. Wir kommen insofern gänzlich auf einen Weg des Werdens. Wer aber immer nur im Werden ist, ist nie im Sein. Genau das ist ja eine große Crux des heutigen, zumeist unachtsamen, Zeitgeistes. Ständig jagen wir irgendwelchen Zielen nach. Wenn wir dann am Ziel sind, so glauben wir, erlangen wir Erfüllung oder Glück. In Wahrheit erreichen wir so nur ein kurzfristiges, weil durch Umstände bedingtes Glück. Um wahres und bedingungsloses Glück geht es übrigens in meinem Blogbeitrag „Das grundlose Glück der Achtsamkeit„. Ein fatales Konzept auf unserer Jagd nach Zielen ist auch dies: Wir glauben, wenn wir an ein bestimmtes Ziel gelangen, dann erst haben wir vermeintlich die rechten Bedingungen erreicht, um endlich wir selbst sein zu können. Doch so werden wir wohl nie wir selbst sein, weil immer noch etwas fehlt. Ich nenne das inzwischen Selbst-Prokrastination, eine Selbst-Aufschieberitis. Und natürlich kenne ich das nur allzu gut aus eigener Erfahrung … . Nebenbei bemerkt, als eine der fundamentalsten Einsichten und Haltungen, um bei uns selbst anzukommen, brauchen wir das Wissen, dass wir okay sind, so wie wir sind. Immer. Schon in einem meiner ersten Blogbeiträge, „Achtsame Selbstwahrnehmung: Du bist okay!“, habe ich darüber geschrieben.
Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung – aber wie?
Wie gelingt Selbstentfaltung, bzw. Selbstverwirklichung? Für eine Antwort, kann ich nicht umhin, mich wieder auf meine besagte mystische Erfahrung zu beziehen. Ich bin eben ein Mystiker, definitiv. Lange habe ich mir übrigens derartige Begrifflichkeiten verkniffen. Zur Aufrichtigkeit gegenüber mir selbst gehört es, sie heute zu verwenden, auch wenn die allermeisten Menschen so gar keinen Begriff davon haben, was Mystik bedeutet und nach einem derartigen Begriff vermutlich kein Wort weiterlesen. Gerade das Adjektiv „mystisch“ wird heute m. E. falsch verstanden und sogar vornehmlich unangemessen und irreführend verwendet, nämlich immer dann wenn irgendwas auch nur im Entferntesten geheimnisvoll anmutet. Aber das ist ein anderes Thema … . Vielleicht kann mein Blogbeitrag „Mystik, Mutter der Achtsamkeit“ ein bisschen zur Aufklärung über Bedeutung und Stellenwert der Mystik beitragen. Zurück zur Frage nach der Selbstentfaltung, bzw. Selbstverwirklichung. In der besagten mystischen Erfahrung habe ich gesehen, wie ich mich stetig abmühe, irgendwohin zu gelangen, etwas zu erreichen, etwas zu sein. Kommt Ihnen das bekannt vor? Tatsächlich erschien mir das in diesem Moment und in diesem Zustand jedoch völlig absurd. Ich wusste unmittelbar, dass ich schon war und es eben nicht darum ging, etwas zu werden. Das zu verstehen ist essentiell! Oft haben wir schon die Botschaft gehört, „Sei, wer Du bist!“. Auch der große indische Weisheitslehrer Ramana Maharshi hat das gesagt. Als es in einem Gespräch mit einem Besucher einmal um dieses „Sein“ ging, fragte Ramana „Was musst Du tun, um zu sein?“. Die Antwort auf diese Frage ist wesentlich zur Beantwortung der Eingangsfrage dieses Absatzes. Anknüpfend an das eingangs erwähnte Buddha-Zitat können wir uns in diesem Zusammenhang auch an dies erinnern: „Es gibt keinen Weg zu sich selbst. Ich selbst sein ist der Weg.“
Manchmal haben wir eine gänzlich verfälschte Wahrnehmung unserer selbst. Wir glauben so oder so zu sein und bemerken gar nicht wie wir tatsächlich schon längst wirklich sind. In meiner Zeit als Heilpraktiker hatte ich beispielsweise Klienten zur Raucherentwöhnung, die sehr weitgehend Überzeugungen vertraten, wie wir sie eigentlich von Nichtrauchern erwarten würden. Die Schädlichkeit des Rauchens war ihnen völlig klar, sie empfanden Rauchen auch nicht als Genuß und Rauchen in der Wohnung war ein No-Go für sie. Sie kamen zur Raucherentwöhnung mit Hypnose, tatsächlich aber waren sie schon längst in ihren Überzeugungen in gewisser Weise mehr Nichtraucher als Raucher. Vieles ist eine Frage der Wahrnehmung und auch Ich-selbst-sein braucht einen Shift in der Art und Weise unseres Wahrnehmens. Raus aus der Hypnose!
Was ist die Botschaft von „Man muss es einfach sein!“?
„Man muss es einfach sein!“ habe ich über längere Zeit dahingehend interpretiert, dass ich möglichst entschieden, das leben, bzw. umsetzen sollte, was ich als Person wirklich bin. Ja, ich verstand es im Sinne eines Werdens. Doch nein, es geht eben nicht darum, das zu werden, was wir schon sind. Wir sind es! Ich, denke, es ist nicht wirklich ein Fehler, es anfangs derart zu begreifen, denn für den heutigen Zeitgeist (oder unsere gesellschaftliche Hypnose?) ist das ja die typische Auffassung für eine solche Botschaft. Mit der Zeit wurde für mich klarer, dass ich die Aussage auch so verstehen kann, dass wir letztlich schlicht nicht anders können als zu sein, wer wir eben natürlicherweise sind. Wir können nicht wirklich gänzlich und dauerhaft über den langen Schatten unseres Wesens springen. Das hat etwas Tröstliches. Und doch haben wir eben oft den Eindruck, dass wir durch äußere Einflüsse von unserem natürlichen Wesen abgedrängt oder ferngehalten werden zugunsten einer unheilvollen Fremdbestimmung. Wir kommen uns dann recht verloren vor. Aber können wir uns wirklich verlieren? Ist auch das im Kern eine Frage der Wahrnehmung? Wie auch immer …
„Man muss es einfach sein!“ jedenfalls lässt indes die Deutung zu, dass wir tatsächlich gar nichts weiter tun müssen, um wir selbst zu sein. Und ja, die Botschaft klingt schon auch so als gebe es eine Bestimmung. Wie gesagt, aus meiner Erfahrung glaube ich nicht daran, sondern daran, dass Dinge durch eine Art Anziehung zusammenkommen können („Gleich und gleich gesellt sich gern“) ohne durch einen Bestimmer oder eine Bestimmung zusammengeführt zu werden.
Auch interessant ist wiederum, dass ich meinem mystischen Satz nicht mit den Personalpronomen „Ich“ oder „Du“ bekam, sondern mit einem „man“. Das weist auf vieles. Zum einen auf eine gewisse Allgemeingültigkeit, so dass die Botschaft, eben auch für andere von Belang ist. Zum anderen weist das „man“ auch darauf, dass Ich-selbst-sein kein Ego-Tripp ist. Es geht eben nicht darum, das Ego zu erhöhen. Im Ich-selbst-sein finden wir uns „nur“, kommen „nur“ bei uns an. Es ist reiner Selbstzweck. Ich-selbst-sein ist autotelisch. Es hat kein anderes Ziel und keinen anderen Lohn als eben dies. Und so ist dieses Ich-selbst-sein ein vollkommenes achtsames Sein.
Flow und Wu wei
Und damit sind wir beim „Flow“, der ebenso selbstbelohnend ist wie das Ich-selbst-sein. Ich bin absolut überzeugt, dass der Flow ein Idealzustand für uns Menschen ist. Wenn wir in den Flow kommen, sind wir ganz bei uns. Wir sind ganz hingegeben an unser Tun, eins in Körper und Geist. Und im Grunde sind wir dann nicht nur verbunden mit uns selbst, sondern auf eine ganz eigene Art auch mit dem Leben selbst. Alles fügt sich und greift „magisch“ ineinander. Ich habe in zwei Blogbeiträgen über den Flow als vollkommenen achtsamen Zustand geschrieben. In „Achtsamkeit in Vollendung: Der Flow“ und in „Was lehrt der ‚Flow‘ ?“. Das als mühelos empfundene Handeln im Flow entspricht einem Zustand und einer Haltung, die seit alters her im Daoismus als „Wu wei“ bekannt ist. Wikipedia umschreibt den Begriff „Wu wei“ so:
„Er wird definiert als Nichthandeln im Sinne von ‚Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns‘.“
Und weiter:
„Wu Wei bedeutet nicht, dass man gar nicht handelt, sondern dass die Handlungen spontan in Einklang mit dem Dao entstehen. Dadurch wird das Notwendige leicht und mühelos getan und sowohl Übereifer, als auch blinder Aktionismus (die als hinderlich betrachtet werden) vermieden. Es ist ein Zustand der inneren Stille, der zur richtigen Zeit die richtige Handlung ohne Anstrengung des Willens hervortreten lässt.“
Ich habe selbst derartige Zustände in meinem Leben schon mehrere Male erlebt. Gerade das hat mich überzeugt, dass es sich um einen Idealzustand des „Seins“ handelt. Letztlich gelangen wir in den Flow oder in den „Wu wei“-Zustand eben nicht indem wir Dinge tun, die uns nicht entsprechen, sondern am ehesten dann, wenn wir tun, was für uns wesensgemäß ist und was wir lieben.
Lebenspraxis – Darum geht es mir …
Kurzum: Selbstfindung, Selbstverwirklichung, in Einklang mit sich und dem Leben kommen. Darum geht es mir als Mensch – und deshalb schreibe ich davon auch in meinem Blog. Mein „ZDE“ (Zweck der Existenz, vgl. John Strelecky) ist es, das Wesen der Dinge (des Lebens, des Seins) zu erkennen, ebenso das Wesen in der Persönlichkeit von Menschen erkennen zu können. Am Knowhow für den Selbstausdruck des eigenen Wesens arbeite ich noch, obwohl ich ahne, dass dieses vermeintliche Knowhow nur die Idee des Werdens repräsentiert. Für mich selbst und mein eigenes Leben jedenfalls findet sich die vielleicht wichtigste Lebensweisheit in dieser Botschaft: „Man muss es einfach sein!“
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