Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Das grundlose Glück der Achtsamkeit
Was ist Glück? Was macht glücklich? Ich denke, jeder weiß für sich, was Glück ist. Jeder hat eine individuelle Antwort auf die Frage, was er persönlich mit Glück verbindet und was ihn glücklich macht. Was mich glücklich machen kann, ist das Gefühl, ganz ich selbst zu sein, ganz zu verwirklichen, wer ich nach meinem Empfinden bin, insbesondere in beruflicher Hinsicht. Um ehrlich zu sein: Ich habe (noch) nicht das Gefühl, dass ich an diesem Punkt angekommen bin. Muss ich dann also unglücklich sein? Nun, wenn ich mir die Frage so stelle und wenn ich so denke, dann kann das wohl passieren. Ich ziehe es allerdings vor, wenn möglich, nicht in ein solches Denkmuster zu verfallen. Denn genau dieses Denken ist nach meiner Erfahrung eine falsche Sichtweise auf das Glück. Es scheint, als gäbe es zwei Arten von Glück: Bedingtes Glück und bedingungsloses, grundloses Glück. Was brauchst Du, um glücklich zu sein? Eine Frage wie diese basiert offenkundig auf jener Sichtweise, die davon ausgeht, dass Glück von bestimmten Bedingungen abhängt. Die Praxis der Achtsamkeit dagegen kann uns auf die Spur eines bedingungslosen Glücks führen.
Sichtweisen. Ist Glück vielleicht anders, als wir denken?
Entspringt Glück vielleicht einer „richtigen“ Sichtweise auf die Dinge? Diesen Ansatz kennen wir ja aus dem sogenannten Positiven Denken. Das Glas ist halbvoll! Selbstverständlich! Glück entspringt mitnichten aus einer („richtigen“) Sichtweise. Warum? Darum: Verweile für einen Moment nur hier in diesem Augenblick. Lass Gedanken an Vergangenheit und Zukunft los. Versuche alle Erfahrungen, die Du gerade machst, nicht zu bewerten. Auch die Übung nicht bewerten, einfach ausprobieren. Einfach nur mit alledem, was sowieso schon da ist, sein. Es geht nicht darum, einen anderen Zustand zu erreichen, es geht darum, Bewertungen und Gedanken loszulassen. Weniger ist mehr. Und: Was musst Du denn tun, um einfach nur zu sein? Eben! Also: Für einen Moment auf diese Weise verweilen …
In diesem Moment, gibt es da irgendein Problem?
In dieser Übung können wir feststellen, dass sich eine Art Frieden ausbreitet, wenn wir aufhören, zu bewerten und wenn wir einfach nur da sind. Manchmal verspüren wir sogar, wie in einem solchen Moment still und leise ein Glücksgefühl aufsteigt. Und damit sind wir mitten im Thema. Wir könnten nun argumentieren, dass wir dieses Glücksgefühl erzeugen, weil wir diese Haltung des Nicht-Urteilens oder Nicht-Bewertens einnehmen. Nein, nicht wirklich. Wir nehmen dabei eigentlich gar keine Haltung ein. Wir kommen einfach nur zurück auf unser Dasein, auf unser Sein. Und somit ist es so, dass das Glück nicht durch eine Bedingung erzeugt wird, es taucht grundlos auf im einfachen puren Sein. Dazu passt folgendes Zitat des großen indischen Weisheitslehrers Ramana Maharshi: „Was wir Glück nennen, ist nur das Wesen des Selbst.“
Glück und Bedingungen
In unserer westlichen Kultur pflegen wir sehr stark die Sichtweise, Glück sei etwas, das wir erfahren, wenn wir etwas Erwünschtes erhalten. Das ist in meinen Augen ein Trugbild. So wie in der obigen kleinen Achtsamkeitsübung, können wir in achtsamen Momenten immer wieder die Erfahrung machen, dass Glück eine Eigenschaft von uns ist. Es gehört zu unserem Wesen. Es wird nicht dadurch erzeugt, dass wir uns etwas Erwünschtes erarbeiten. Tatsächlich kreieren wir bei einem solchen Denken eine Bedingung, die überspitzt formuliert besagt, dass wir nur glücklich sein können, wenn die Bedingung erfüllt wird. Glücklicherweise kreiert man sich mehrere solcher Glücksbedingungen, so dass wir uns in mehreren Fällen erlauben, glücklich sein zu dürfen. Aber ist das nicht in Wirklichkeit eine enorme Beschränkung des Glücklichseins? Auf unserem Weg zum verheißungsvollen Ziel lassen wir kaum mehr zu, dass wir mit all den kleinen Dingen am Wegesrand ebenso zufrieden und auch glücklich sein können. Nein, es ist nicht wie bei einer Pille: Wir verleiben uns Glück nicht ein, dadurch dass wir etwas Glückverheißendes erhalten. Wir selbst sind es doch, in denen das Glück stattfindet. Ja, wir empfinden Glück, weil es eine Eigenschaft von uns ist. Und glücklicherweise gibt es unerwartete Momente, in denen wir jenseits aller Glücksbedingungen noch in der Lage sind, Glück spontan zu erfahren.
Wege zum Glück
Um mich zu erinnern, dass Glück nichts Bedingtes ist, habe ich auf meinem Tisch schon seit vielen Jahren eine Postkarte aufgestellt mit einem Buddha-Zitat. Auf Englisch steht da: „There ist no way to happiness – happiness is the way.“ (Es gibt keinen Weg zum Glücklichsein, Glücklichsein ist der Weg). Kaum zu glauben, aber offenbar ist Glück ein natürlicher Zustand, den man sich nicht erarbeiten muss. Doch genau das versuchen wir oft genug. Wir arbeiten auf unser glückverheißendes Ziel zu oder wir versuchen uns Denkgewohnheiten wie Positives Denken anzutrainieren. Es gibt heute auch viele Anleitungen und Übungen, die uns helfen sollen, mehr Glück zu empfinden. Schöne Resultate der Glücksforschung. Dennoch: Beruht nicht das allermeiste davon auf der Prämisse, Glück würde durch Bedingungen erzeugt? Ich habe keine Lust, mir Glück so zu erarbeiten! All diese Übungen zu machen, überfordert mich. Will man das wirklich ernstlich alles auf sich nehmen? Sich Glück erarbeiten? Für mich ist es einfacher, Dinge zu lassen. Achtsamkeitspraxis. Bewerten sein lassen, einfach nur da sein im gegenwärtigen Moment, zurück kommen auf sich selbst und die Dinge sein lassen, wie sie sowieso schon sind. Um Irrtümern vorzubeugen: Akzeptanz bedeutet nicht, damit aufzuhören das zu verfolgen, was uns wichtig ist. Es ist allerdings gut, es aus einem Selbstzweck heraus tun zu können und nicht “,um zu …“. Eine solche Art zu sein ist sich selbst genug, ist quasi selbstbelohnend. So hat vor allem auch Zufriedenheit Raum, sich zu entfalten. Auch schön. Es gibt ja kein Gesetz, gleich glücklich sein zu müssen.
Bewerten. Glück und Unglück.
In der Achtsamkeitspraxis ist das Nicht-Urteilen oder Nicht-Bewerten ein entscheidender Aspekt, auch in Bezug auf das Glück. Es ist hilfreich, sich den Zusammenhang des Bewertens mit der Erfahrung von Glück und Unglück bewusst zu machen. Wenn wir etwas bewerten, definieren wir etwas nicht nur als gut oder glücklich machend, sondern mit dieser Definition erschaffen wir auch etwas, das außerhalb davon ist: Was nicht gut ist, ist mehr oder weniger, zumindest aber teilweise, schlecht. Was nicht Glück ist, ist mehr oder weniger, zumindest aber teilweise, Unglück. Mit dem Bewerten ist sofort beides in der Welt. Glück und Unglück. Zuvor sind die Dinge ohne besondere Bedeutung, einfach nur ungeteilt namenlos da. Mit dem Bewerten entsteht eine Polarisierung. Verschärft wird dieser Zustand aber erst so richtig, wenn wir das eine als erstrebenswertes Ziel ausrufen, das andere aber ausdrücklich ablehnen. Wir beginnen dann zu fixieren, was als Glück zu betrachten ist und was als Unglück. Wir halten daran fest. Wenn wir auf solche Art nach Glück streben, haben wir ohne uns dessen bewusst zu sein auch das Unglück mit im Schlepptau. Wohlgemerkt, wenn wir etwas das wir als glückverheißendes Ziel ausgerufen haben, erreichen und erhalten, dann erfahren wir durchaus Glück. Wir erfahren es für eine gewisse Zeit. Weil es aber bedingt ist, verblasst es bald und etwas anderes erscheint als glückverheißend. Dann streben wir nach dem neuen Glücksversprechen.
Das Glück unseres natürlichen Wesens
Anders verhält es sich mit dem grundlosen Glück, das aus unserem Wesen aufscheint, wenn wir Momente der Achtsamkeit erleben. Es gehört zu unserem Wesen, ist unabhängig und nicht in eine Bedingung eingebunden. Es ist nicht da in Abgrenzung zu Unglück. Es ist einfach nur da als diese aufscheinende erfüllende Seinserfahrung ohne ein Etikett namens Glück zu benötigen. Und je länger wir einfach nur wertungsfrei ganz im Moment sein können, desto eher und desto mehr scheint dieses Glück in uns auf. Auch wenn es so klingt, ist das eben nicht mit einer Bedingung verbunden, sondern es ist in Wirklichkeit einfach nur unser natürliches Dasein.
Dieser Beitrag nimmt an der von Julie (Mein Reisetagebuch) ausgerufenen Blogparade zum Thema Glück teil.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!