Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Achtsamkeit in Vollendung: Der Flow
Den Flow-Zustand kennt im Grunde jeder. Selbstvergessen in einer Tätigkeit aufgehen, inspiriert und konzentriert zu Werke gehen, während es uns leicht von der Hand geht. Für viele Sportler ist der anstrengungslose Flow ein bekannter Zustand, den sie anstreben. In diesem Zustand sind wir unglaublich leistungsfähig. Ich selbst kenne den Flow in verschiedenen Ausprägungen. Den selbstvergessenen konzentrierten Zustand wie ihn wohl jeder kennt und einen sehr intensiven Flow, anhaltend über Stunden; unter anderem geprägt von einem Gefühl totaler Sicherheit und einer Verbundenheit mit allem. Ein mystisch anmutender Zustand. In der Achtsamkeitspraxis streben wir keine Zustände an, dennoch: Der Flow ist ein vollendet achtsamer Seinszustand!
Csikszentmihalyi und die Voraussetzungen des Flow
Mihaly Csikszentmihalyi (Aussprache wie im Englischen“ Me-high Chicks-sent-me-high“) war der erste Forscher, der den Flow untersuchte und eine Flow-Theorie entwickelte. Der Titel seiner bekannten Veröffentlichung ist vielsagend: „Flow. The psychology of optimal experience“. Es sind vor allem Sportler und Künstler, die diese optimale Erfahrung des Flow gut kennen, weil sie beste Voraussetzungen für das Zustandekommen des Flow-Erlebens mitbringen. Csikszentmihalyi untersuchte unter anderem Musiker und Tänzer. Ihr künstlerisches Schaffen hat ein klares, umgrenztes Format und Ziel und wirft ein unmittelbares Feedback aus. Der Weg ist hier das Ziel und die Früchte des Tuns sind unmittelbar erfahrbar. Sie können in ihrer erfüllenden Betätigung leicht aufgehen, denn es ist in der Regel das, was sie lieben. Freilich fällt es dann auch leicht, konzentriert bei der Sache zu sein. Als besonders wichtige Voraussetzung für eine Flow-Erfahrung hat Csikszentmihalyi das Verhältnis der eigenen Fähigkeiten zum Maß der Anforderungen ausgemacht. Demnach kann sich ein Flow einstellen, wenn eine Aufgabe eine Herausforderung darstellt, die man auf Basis seiner Kompetenzen aber noch bewältigen kann. Es darf weder Unterforderung noch Überforderung vorliegen.
Weitere Merkmale des Flow
Im Flow läuft es einfach, es fließt. Der subjektive Eindruck der Mühelosigkeit, sogar bei einer sportlichen Höchstleistung, ist ein Charakteristikum des Zustandes. Ein zweites Merkmal ist die Einheit von Bewusstsein und Handlung. Im Flow sind wir eins in unserem Handeln. Keine Konzepte, kein Taktieren. Keine Gedanken, die nach bestimmten Normen etwas abwägen und sich viel um die eigene Person drehen. Unmittelbares Handeln im Bewusstsein der eigenen Handlung. Ein weiteres Charakteristikum soll laut Wissenschaft ein Gefühl der Kontrolle sein. Diesen Punkt muss man, denke ich, etwas konkretisieren und differenzieren. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich so formulieren: Man ist sich selbst sicher, es gibt keine Zweifel. Es geht hier um eine Art Selbstwirksamkeit und Sicherheit, die man verspürt, nicht aber um irgendein Gefühl selbstverliebter Großartigkeit. Wohlgemerkt, zum Flow gehört eine gewisse Selbstvergessenheit. Es geht also um ein Kontrollgefühl ohne ein Ich, das die Kontrolle besitzt. Und weil eben schon der Weg das Ziel ist, ist ein Flow selbstbelohnend. Auch das ist eines der Merkmale dieses tief befriedigenden und erfüllenden Zustands. Ein letztes Merkmal noch: Ein verändertes Zeitgefühl. Jeder kennt das: Wenn wir in einer Tätigkeit aufgehen, vergessen wir die Zeit. Das kann heißen, dass wir hinterher den Eindruck haben, dass unsere Handlung in kurzer Zeit abgelaufen sei oder aber lange angedauert habe. Wir liegen in der Regel falsch und wundern uns.
Eigene Erfahrungen mit intensiven Flows
Ich selbst habe in meinem Leben zwei außergewöhnlich intensive und lange Flow-Zustände erlebt. Einmal etwa 2 Stunden lang, das andere Mal etwa 8 Stunden lang. Trotz der beachtlichen Länge und Intensität entsprachen Sie den Merkmalen eines Flow. Auf Wikipedia liest man, dass Flow-Zustände in hypnotische oder ekstatische Trancen übergehen können. In meinen Augen und aus meiner Erfahrung heraus sehe ich eher Anklänge zu mystischen Erfahrungen. Es ist dieses Einssein mit allem, das man sowohl in der mystischen Erfahrung als eben auch mehr oder weniger deutlich in einem Flow erleben kann. In meinen beiden intensiven Flow-Erlebnissen war mein Handeln mit den Reaktionen der Umwelt sehr stark in Einklang. Ebenso war das Gefühl von Verbundenheit sehr deutlich. Und alles lief von selbst, gerade so als ob alle Dinge in einer natürlichen Weise an den ihnen bestimmten Platz fallen würden. Auffallend war auch dieses völlige Im-Moment-Sein. Wer tatsächlich im Moment ist, ist der nicht eher in der Wirklichkeit als in einer Trance? Das vielleicht bemerkenswerteste Erlebnis in meinem 8-Stunden-Flow war ein unglaublich konkretes Empfinden von totaler Sicherheit. Das ist erstaunlich. Es ist doch so: Im Flow gibt man sich hin, die Dinge geschehen einfach wie von selbst. Das ist nicht die übliche Kontrolle meines Lebens, die „Ich“ durch bestimmte Verhaltensweisen zu erlangen suche, das planvolle Handeln, das mich absichern soll. Im Grunde tritt im Flow ein Sicherheitsempfinden auf, während ich mich totaler Unsicherheit aussetze. „Ich“ habe im Flow das Heft gleichsam aus der Hand gegeben.
Meine beiden intensiven Flow-Erfahrungen möchte ich hier nicht konkreter beschreiben. Der Beitrag würde zu lang, zumal ich in meinem Schreiben seit jeher zu einer gewissen Länge neige. Ich möchte thematisch nicht die Gewichte verschieben, beschränke somit diesen Text und liefere in einem nächsten Beitrag einen konkreteren Erfahrungsbericht zu den besagten Flow-Erlebnissen.
Flow und Achtsamkeit
Es ist Zeit, dass in diesem Blogartikel die Achtsamkeit in den Fokus rückt. Tatsächlich kann eine vertiefte Achtsamkeit den Boden bereiten für einen Flow. Mein 8-Stunden-Flow ereignete sich einige Tage nach einem Schweigeretreat, der 2-Stunden-Flow während eines Ausbildungsblocks zum MBSR-Lehrer. Folglich stellt sich mir die Frage, welche Verbindung zwischen Achtsamkeit und Flow-Erfahrungen besteht. Es ist so: Im Flow sind wir absolut im gegenwärtigen Moment. Das ist unsere zentrale Absicht in der Achtsamkeitspraxis. Im Flow gibt es diese Verschmelzung von Bewusstsein und Handlung. Da bleibt kein Raum für bewertendes Schubladendenken, für das Heranziehen und Überstülpen von Konzepten. In der Achtsamkeitspraxis versuchen wir bewusst, genau dieses Verhalten, das wir hier abkürzend gerne als „Bewerten“ oder „Urteilen“ bezeichnen, zu unterlassen. Im Flow sind wir ganz bei uns selbst und gleichzeitig sehr verbunden mit unserer Umwelt. Das ist gleichsam eine natürliche Art und Weise der Verwirklichung von Aspekten der Achtsamkeitspraxis: Verbunden sein mit sich selbst (Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl) und verbunden sein mit anderen (Mitgefühl). Da im Flow gewissermaßen alle Merkmale der Achtsamkeit auf natürliche Weise und sehr deutlich hervortreten, komme ich zu einer eindeutigen Schlußfolgerung: Der Flow-Zustand ist ein vollendeter achtsamer Seinszustand.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!