Lebenspraxis | Ein Einsichts- und Lebenserfahrungs-Blog zu Achtsamkeit
Die Person und die Selbstliebe
– Teil 1 –
Wer sind wir? In der Regel halten wir uns für das, was wir unsere „Person“ nennen. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot …“, so wie in der Werbung definieren wir unsere Person mittels vieler Etiketten, die uns vermeintlich beschreiben und unseren Stellenwert vermitteln sollen. Es sind vielfach Äußerlichkeiten oder soziale Rollen, mit denen wir uns da beschreiben. Das macht uns als Person abhängig von Dingen außerhalb von uns und insbesondere von den Meinungen, die andere über uns haben. Im besten Fall gesellen sich zu unserem Selbstbild einige Definitionen hinzu, die wir aus der Selbsterfahrung gewonnen haben. Beispielsweise Aussagen wie „Jemand, der gerne reist …“. Derartige Beschreibungen beziehen sich dann auf bestimmte Eigenschaften. Wegen seiner großen Abhängigkeit von äußeren Einflussfaktoren ist das Gebäude der Selbst-Definitionen kein Massivbau auf festem Fundament, sondern eher ein fragiles Kartenhaus. Es kann uns nur begrenzt und temporär ein Gefühl von Selbstwert, Selbstvertrauen oder Selbstbewusstsein vermitteln. Auch als Zielobjekt der Selbstliebe ist die Selbstbild-Person ungeeignet. Was wäre, wenn wir diese Art des Selbstbezugs aufgeben würden?
Die Person, ein Kartenhaus
Die Karten unseres persönlichen Kartenhauses werden gerne mit Funktionen, die wir einnehmen, beschriftet: Der Beruf, ein Akademiker-Status, Ehrenämter, Rollen wie Mutter, usw.. Je mehr Ansehen die Funktion generieren kann, desto mehr kann die Person stolz hochgehalten werden, es sei denn, es gibt ebensolche Funktionsträger, die eine direkte starke Konkurrenz darstellen. Etwas diffiziler wird es, wenn sich eine Selbst-Definition auf ein bestimmtes Tun bezieht. Geht es um das Ausfüllen unserer Funktion oder um bestimmte Handlungen, die uns anderweitig kennzeichnen, dann stehen auf jeden Fall Bewertungen im Raum. Dabei geht es dann darum, wie gut oder schlecht wir etwas tun. Damit gerät unser vermeintliches Selbst endgültig auf einen Präsentierteller. Unser Selbstverständnis wird denn auch gerne mal infrage gestellt, sei es durch andere Personen oder gar durch Schicksalsschläge. „Wir“ sind angreifbar! Und, oh ja, wir neigen stark dazu, unser Selbstbild kämpferisch gegen Angriffe zu verteidigen und wir leiden, wenn wir angegriffen und verletzt werden. Tatsächlich geht es ja um etwas Existenzielles! Mit einer Definition unserer selbst sagen wir „Ich bin“ soundso. Die Person, die wir nach einem solchen Bauplan errichten, ist ein existenziell gefährdetes, fragiles Gebilde.
Selbstbild und Achtsamkeit
Unser Selbstbild, die Person, ist im Wesentlichen ein Bündel von Bewertungen und Interpretationen. In der Achtsamkeitspraxis haben wir die Absicht, nach Möglichkeit nicht zu bewerten. Bewertungen und Interpretationen verfälschen die Wirklichkeit. Sie sind eben nicht wirklich! In der Achtsamkeitspraxis tun wir gut daran, immer wieder selbst nachzuschauen, was wirklich gerade geschieht und was wirklich unsere Erfahrung ist. In Kontakt kommen mit der puren Seins-Erfahrung jenseits von Bewertungen und Interpretationen. Unser Selbstbild ist ein Bild, das wir uns machen. Es ist nicht, was wir wirklich sind. Wie denn überhaupt, könnten wir jemals uns selbst in all den Facetten, die sich zeigen können, und in unserer Tiefgründigkeit in einer Selbstbild-Beschreibung erfassen? Wir halten es für selbstverständlich, ein Selbstbild zu pflegen. Wenn wir uns aber vor Augen halten, wie angreifbar und verletzlich wir uns mit dieser „Ich bin“-Definition machen, dann stellt sich doch die Frage „Wozu?“. Ist es wirklich hilfreich ein (detailreiches) Selbstbild zu pflegen?
Der Stellenwert der Person. Eigene Erfahrungen.
Ich habe seit vielen Jahren eine eigene Erfahrung davon, wie es ist, unserer Idee von der Person keinen besonderen Stellenwert beizumessen. Ich lege bei vielem keinen Wert mehr darauf, mich in einer bestimmten Weise zu präsentieren und auf eine bestimmte Weise gesehen zu werden. Freilich gibt es noch hinreichend Identifikationen, die sich gehalten haben und die zu unbewussten Hab-Acht-Haltungen und einem bestimmten Rollenverhalten führen. Achtsamkeit hilft, das zu bemerken und nicht dem Automatismus freien Lauf zu geben. Auch wenn ich wenig Wert darauf lege, als etwas Bestimmtes zu erscheinen, so gibt es natürlich Dinge, die mir essentiell wichtig sind. Und die verfolge ich auch. Dabei ziehe ich es aber vor, daraus keine Ich-bin-Definition zu machen. Weniger Erscheinen, mehr Sein. Das bedeutet auch, nicht zwanghaft nach Bestätigung und Anerkennung von außen zu suchen. Was ich tue, ist das, was ich tue und vielleicht ist es etwas, das ich sehr gerne tue. Das zu spüren und zu wissen reicht. So bindet man sich nicht an abstrakte Beschreibungen seiner selbst, sondern kommt direkter in Kontakt mit seinem wirklichen (momentanen) Sosein.
Etwas nicht mehr persönlich nehmen
So lebt es sich für mich übrigens sehr viel entspannter als früher. Seit ich auf Definitionen meiner selbst keinen Wert mehr lege, nehme ich fast nichts mehr persönlich. Meine Erfahrung ist, dass ich mich nicht mehr verletzt fühle. Das ist die Veränderung, die ich am deutlichsten bemerke. Wo nichts ist, das bedeutungsvoll auf einen Schild gehoben wird, kann auch nichts verletzt oder vom Sockel gestoßen werden. Ich habe, anders als früher, kein Selbstverständnis, das ich verteidigen muss. „Ich bin so, wie ich bin und die Welt ist so, wie sie ist.“ Das ist jeweils eine Momentbeschreibung und das ist meine Grundhaltung heute. Damit gebe ich der Wirklichkeit Raum und halte mich fern von Bewertungen und von auf Dauer angelegten Fixierungen im Rahmen von Ich-bin-Definitionen.
Person und Selbstliebe
Warum befasse ich mich hier so sehr mit der Person, Identifizierungen und Selbstbild? Und was hat das eigentlich mit Selbstliebe zu tun?
Wenn wir einem Selbstbild oder Selbstverständnis als Person gerecht werden wollen, beeinflusst das massiv die Qualität unseres Bezugs zu uns selbst. Unser Selbstbild oder Selbstverständnis begründet Ansprüche und Erwartungen an uns selbst. Aus dem heraus bewerten wir uns nur allzu oft als unzulänglich. Wir glauben Fehler begangen zu haben. Wir glauben, dass bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen nicht in Ordnung waren. All diese Vorhaltungen und Selbstvorwürfe untergraben einen positiven Bezug zu uns selbst. Unser innerer Kritiker gibt der Selbstliebe keinen Raum zur Entfaltung.
Du bist okay!
Hören wir einfach damit auf, uns mit den Ansprüchen aus unserem Selbstbild oder Selbstverständnis zu malträtieren! Seien wir realistisch und ordnen richtig ein, was uns bei all unseren Handlungen zu tun möglich war und möglich ist. Pläne sind abstrakte Forderungen und das Leben macht gerne einen Strich durch unsere Pläne. Wir können nur tun, was uns gerade mal möglich ist. Manchmal wissen wir es in einer Situation einfach nicht besser. Na und? Sich hinterher Vorhaltungen zu machen, nicht das Richtige getan zu haben, ist irreal. Hätten wir in der betreffenden Situation gewusst, was „das Richtige“ ist und hätten wir gewusst wie wir es umsetzen können, dann hätten wir gewiss so gehandelt, oder? Ich habe bereits einen Beitrag mit dem Titel „Du bist okay!“ gepostet. In ihm habe ich diese Sichtweise etwas ausführlicher dargestellt. So ist es mir selbst gelungen, den Weg frei zu machen für einen positiven Selbstbezug.
Ohne Selbstbild, ohne Verletzungen, …
Hören wir damit auf, uns allzu sehr ein Selbstbild zu zimmern! Es lohnt sich, denn damit machen wir uns nicht mehr länger abhängig von Äußerlichkeiten. Und wo nichts ist, kann nichts verletzt werden! Ein Selbstbild oder Selbstverständnis ist etwas Abstraktes. Es ist eben nicht, was wir sind und hat keine Lebendigkeit. Und deshalb bleibt die Selbstbild-Person auch für die Selbstliebe irgendwie ungreifbar. Nein, sie eignet sich nicht wirklich als Zielobjekt der Selbstliebe. Freilich macht uns der Stolz auf das, was wir nach unserem Verständnis vermeintlich sind, dann und wann gute Gefühle. Temporär, vielleicht sogar des öfteren, bestätigen Erfahrungen unser Selbstverständnis. Und wenn nicht? Wenn es bedroht wird, haben wir unsere Nöte und verwickeln uns in Verteidigungskämpfe. Dieses Verteidigen-Müssen kostet nicht nur Energie, sondern es hat auch eine oft nicht bemerkte Schattenseite.
Die Selbstbild Person zahlt einen Preis!
Um unser Profil zu bewahren und zu behaupten, müssen wir uns selbst und unsere Beziehungen gut in Kontrolle halten. Es ist, wie wenn wir einen Schutzwall um uns aufbauen würden oder eine Art Rüstung anhätten. Wir schirmen uns gegen eventuelle Widrigkeiten prophylaktisch ab und distanzieren uns dabei. Dafür zahlen wir einen Preis! Wir können so nicht wirklich echt und authentisch sein. Wir schützen vermeintlich „unser Herz“, wappnen uns gegen mögliche Verletzungen. Aber wir verhindern dadurch oft, dass wir überhaupt noch innerlich berührt werden können. Mitgefühl und Selbstmitgefühl können sich nur schwerlich entfalten. Wir sind wie in einem Cocon. Wollen wir das?
Unser verständnisvoller Freund sein
Ablassen von Ansprüchen und Erwartungen unseres Selbstbildes. Statt Vorstellungen und Plänen zu folgen, von Moment zu Moment unsere inneren lebendigen Impulse und Bedürfnisse wiederentdecken. Den inneren Kritiker in einen verständnisvollen, wohlwollenden Freund umwandeln. Das ist eine Befreiung und ein Schritt zu wahrer Selbstliebe.
In diesem ersten Teil von „Die Person und die Selbstliebe“ ging es hier um unser Selbstverständnis, auf das wir in der Regel unsere Person bauen und das der Selbstliebe im Wege steht. Räumen wir diesen Weg frei! Im zweiten Teil – und vielleicht noch in einem dritten Teil – möchte ich darüber schreiben, um was es bei Selbstliebe in meinen Augen wirklich geht und was es nach meinem Verständnis noch braucht, damit sie sich entfalten kann.
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